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Was ist eigentlich ein Flyer?

Die Multimediabranche bringt das Arbeitsamt aus der Puste. Dort herrschen nur rudimentäre Vorstellungen von der Vielfalt der neuen Berufsbilder  ■   Von Margret Steffen

Sechs Plattenbau-Etagen, lange Flure, viele geschlossene Türen im Arbeitsamt Berlin Mitte. Aber in Zimmer 312 gibt es ein offenes Ohr für Zukunftssorgen, ganz ohne Termin. „Nun hoffen wir mal, dass uns das Internet nicht unsere Aufgaben wegnimmt“, sagt der Berater gutmütig lächelnd und schickt einen schrägen Blick über die Lesebrille. „Wer braucht denn noch Berufsberatung, wenn sich die jungen Leute dort schon alles selbst heraussuchen?“ Dann beugt er sich wieder über „Beruf aktuell“ von der Bundesanstalt für Arbeit und sucht unter Stichwort Multimediaausbildung.

Welche Chancen darf sich der junge Mensch erhoffen, der da vor ihm am Tischchen sitzt und sein Kulturwissenschaftsstudium abbrechen will? In Berlin wird das Fach mit Schwerpunkt neue Medien und Mediengeschichte gelehrt. Wilfried Hernd rät zunächst zu Journalismus. Journalisten braucht man immer. Eine Traumausbildung für Multimedia hat er leider nicht auf Lager, dafür zwei fahrplandicke kategorisierte Sammelwerke mit den Berufen dieser Welt. Gleich hinter Schriftsetzer gibt es da den „Werbe- und Medienvorlagenhersteller“. Aber nur noch bis Jahresende. Dann heißt das in Deutschland Werbe- und Mediengestalter. „Es existieren da ja so viele Tätigkeiten, für die es gar keinen Ausbildungsweg gibt“, sagt Wilfried Hernd und versucht lieber nicht, einige davon aufzuzählen.

Beim Deutschen Multimediaverband (DMMV) in Düsseldorf ist Lutz Goertz Referent für Aus- und Weiterbildung. Er sieht das Informationsvermögen der staatlichen Arbeitsämter besorgt hinter dem Zeitgeschehen herdümpeln. Noch vor einigen Wochen hätte er gerne einen prominenten Multimediaspezialisten vom Verband anonym zur Arbeitsvermittlung geschickt, um ein Exempel zu statuieren. „Aber damit würde niemandem ein Gefallen getan“, sagt Goertz und hat es bei der Idee zum bösen Scherz belassen. Der Referent befasst sich seit einem Monat mit Kontaktierung und Information der Arbeitsberater. Dass man in Berlin schon über die vier großen Gebiete des Mediengestaltens Bescheid weiß, erstaunt und erfreut ihn. Das Alter von 25 allerdings würde er nicht zu spät zum Umsteigen einschätzen: „Das Durchschnittsalter der Branche ist 31.“ Doch die Schwierigkeiten der Ämter konzentrieren sich ganz woanders: Computer sind wichtig, das hat sich herumgesprochen. Die Umschulungsprogramme sind voll. „Vor allem mit Akademikern beliebiger Richtung. Und hinterher wundern sich die Teilnehmer, dass ihnen die Unternehmen die Tür vor der Nase zuschlagen.“

Chancen gibt es nur nach langen Praktika oder Berufserfahrung. Doch wer hat die schon in einer Branche, die sich erst Mitte der Neunziger so entwickelte? Die Berater sind oft 40 oder 50 Jahre alt und unterstützen den Suchenden nur aus dessen Sicht, weil sie seine Chancen nicht einschätzen können. „Und so glauben dann Leute mit Erfahrung in Powerpoint und Office, sie könnten jetzt Multimediaprodukte herstellen. Aber damit ziehen Sie keinen Hering vom Teller. Eine Homepage kann heute jede Sekretärin basteln“, sagt Goertz. Wer Pech hat, ist zu diesen Erfahrungen noch in einem überteuerten Wochenendkurs gekommen. Arbeitsexperten warnen inzwischen vor Anbietern, die den allgemeinen Weiterbildungsdrang in Sachen Computer zu Profit machen.

Wer Glück hat, erwischt eine Förderung beim Arbeitsamt. Effi Ullrich aus Berlin, allein erziehend mit zwei Kindern, gelernte Bauzeichnerin und Langzeitarbeitslose, konnte sich so eine Umschulung zur Projektmanagerin suchen. Und fand sie an der Mediadesignakademie in Berlin. Die acht Monate kosten das Arbeitsamt 18.000 Mark, aber „die Klassen waren voll“, sagt Effi. Jetzt sucht sie auf eigene Faust nach Praktika, denn für sie ist klar: „Das Arbeitsamt gibt dir keine Jobs.“

Auf dessen Online-Jobbörse dümpeln sechs Stellenangebote aus dem Multimediabereich. Viel mehr Information ist nicht zu holen. Im Berufsberatungszentrum finden sich ein paar Kopien, zusammengeklammert und „Audiovisuelle Medienberufe“ benannt. Hier finden sich schon detailliertere Beschreibungen, vor allem mit weniger Scheu vor Anglismen als die flippig aufgemachten, aber offiziell-öden Leitfäden. In denen alle fraglichen Ausbildungswege übrigens auf ganzen drei Seiten untergebracht sind. „Man findet sich nicht mehr wieder, wenn man über sein Berufsfeld liest“, stöhnt Goertz. Auf der Website des Multimediaverbandes ist naturgemäß geballte Information vorhanden. Jedes Jahr kommt der „Aus- und Weiterbildungsleitfaden“ heraus, der über 250 Bildungsgänge für Online, Internet und interaktive Medien auflistet. „Die Beratung im Arbeitsamt kann nie durch das Internet ersetzt werden“, relativiert Goertz. „Aber die Ämter müssen bestimmte Überlegungen anregen, damit nicht alles ins Leere geht.“

Ganz neue Fragemuster kommen auf die Mitarbeiter zu: Nach bisherigen Erfahrungen in projekt- oder budgetorientierter Arbeit, nach Hobbys. Biografie sagt heute längst nicht mehr alles. „Fragen Sie, ob der Suchende schon einmal einen Flyer entworfen hat“, schlug Goertz auf einem Beraterlehrgang vor. Zwei von 16 wussten, was ein Flyer ist. „Es ist natürlich schwierig, wenn einer genauso Programmierer wie Bäcker beraten muss“, sagt der jugendliche Referent. Da ist dann zwar der Screendesigner ein Begriff, Multimedia-Developer oder Call-Center-Agent aber nicht mehr. Leute mit so einer Weiterbildung landen dann bei Versicherungen oder in der Telefonzentrale. „20 Prozent fallen durchs Rost, weil sie nicht in die Kategorien passen. Da haben sie einen Screendesigner, und wehe, es wird ein Art Director gesucht.“

Ein Lichtblick für Goertz ist das Landesarbeitsamt Baden-Württemberg, wo man hart an der Ausbildung der Berater arbeitet. Solche Erfolge helfen ihm weiter, wenn er wieder „Informationen an Leute schicken muss, die nicht mal eine E-Mail-Adresse haben. Das ist wie Kochen ohne Herd.“

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