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Servus im verbotenen Stadl

Am Samstagabend werden 800 Millionen Chinesen gemoikt  ■   Aus Peking Georg Blume

Wenn schon kein echter Kaiser mehr den Pekinger Kaiserpalast bewohnt, warum könnte dann nicht ein Österreicher, den seine Landsleute den „Kaiser der Volksmusik“ nennen ...? Der Plan war verwegen, das Unternehmen kühn. Nicht einmal Mao hatte die Ruhmesstätte für seine Zwecke missbraucht. Doch nun steht Karl Moik vor dem Palast wie sein neuer Besitzer. Und der Moderator der erfolgreichsten deutschsprachigen TV-Musiksendung sagt: „Servus, China. Erleben Sie mit uns Farbenpracht und chinesische Lebensfreude aus der Traummetropole Peking.“ Da hat die Harmlosigkeit der Volksmusik ein Ende.

Zwar war Moik mit seiner Samstagabend-Show „Musikantenstadl“ schon in vielen Ländern unterwegs. Doch diesmal ist es ein kulturpolitisch hochsymbolisches Ereignis, das der ORF-Star bei den Aufzeichnungen der Sendung am vergangenen Wochenende unter dem Eingangstor des Pekinger Kaiserpalasts ankündigt. Denn nicht nur dem deutschen TV-Publikum wird morgen Abend um 20.15 Uhr ein vollkommen neues Bild des altehrwürdigen Prunkbaus geboten. Am Bildschirm sind zur gleichen Zeit auch die 800 Millionen Fernsehzuschauer des chinesischen Hauptsenders CCTV 1 – ein bis vor wenigen Jahren undenkbarer Traditionbruch.

Für die Chinesen völlig fremde Showstars wie Dagmar Koller und Karel Gott singen in Begleitung exotischer Alpenmusik vor dem wichtigsten Symbol chinesischer Größe. Dazu werden Biertische fürs Publikum aufgebaut. Es darf sogar mitsingen. Für einfache Chinesen, die oft ihr Leben lang für eine einzige Peking-Reise sparen, während der sie dann respektvoll den riesigen Palast durchschreiten, müssen Moik und sein Jodel-Gefolge wie Eindringlinge wirken, denen jede Ehrfurcht fehlt. Nie zuvor wurde die heiligste Stätte des tausendjährigen Kaiserreichs so gründlich entweiht. Der Kreuzfahrer Moik ahnt vage, welch ungewöhnliche Eroberung ihm gelang: „Diese Kulisse!“, ruft er voll Bewunderung. „Da bist du der Erste und für viele Jahre der Letzte.“

Doch der Musikkaiser ist nicht der einzige Regent am Ort. Seine Show wird von den wachen Augen des Politbüromitglieds Li Ruihans verfolgt, der Nummer vier im Kommunistischen Parteistaat. Li ist der Ehrengast im Publikum, doch seine Präsenz wird voraussichtlich nur im chinesischen Fernsehen auffallen. Die deutsche Fassung setzt ihn nach Sendeplan nicht ins Bild. Ist es Moik, der nicht im Dienst eines kommunistischen Diktators auffallen will? Man kann den Unterhaltungsreisenden mit dieser Frage nicht überraschen. Gelassen nimmt er während der Proben am Biertisch Platz. Natürlich wisse auch er, was nur wenige Meter vor den Toren des Kaiserpalastes vor zehn Jahren geschehen sei: ein furchtbares Massaker. Doch ihm sei in China anderes widerfahren: Kein Verbot der Behörden, kein Diktat der Partei habe seine künstlerische Freiheit zwischen den Mauern des Kaiserpalasts eingeschränkt. Sogar die chinesischen Künstlerbeiträge habe er auswählen können. Entzückt zeigt Moik auf die Bühne, wo sich gerade die Mönche des berühmten Shaolin-Klosters aus den Bergen am Gelben Fluss aufbauen. In ihrem Kloster wurde nicht nur die Kung-Fu-Kampftechnik, sondern auch die Zen-Meditationsschule begründet. „Es sind gefühlvolle Menschen, ihre Melodien sind einschmeichelnd, ihre Artistik ist unvorstellbar“, sagt Moik. Und plötzlich klingt er gar nicht mehr wie ein Eroberer.

Shaolin-Mönche und Alpenmusiker – im „Musikantenstadl“ haben sie die gleiche Anziehungskraft: „Uns Europäer interessiert Exotik – und die Chinesen auch“, meint Moik. Das ist fair formuliert. Doch noch etwas anderes verbindet Wiener Sängerknaben und Pekinger Hofmusikanten: Gemeinsam sind sie Gegenprogramm zu MTV und dem amerikanischen Show- und Musikgeschäft, das in China über Kabelfernsehen und Karaoke heute allerorten Einzug erhält. Und genau aus diesem Grund klatscht auch das Politbüro beim Wiener Hofwalzer mit. Schon im vergangenen Jahr war es die italienische Puccini-Oper „Turandot“, der unter der Regie des chinesischen Filmregisseurs Zhang Yimou eine Nebenbühne des Kaiserpalasts geöffnet wurde. Und es passt auch in die kontinentale, Amerika-kritische Vision chinesischer Kulturpolitik, dass jetzt gegenüber dem Kaiserpalast eine neue Oper nach den futuristischen Plänen eines französischen Architekten entstehen soll.

Die kommunistischen Kulturplaner haben erkannt, dass sie auf der Welt Verbündete brauchen. Und die bekommen sie nur dann, wenn sie ihre besten Bühnen und Plätze räumen und die ältesten Traditionen preisgeben.

Karl Moik zog nicht umsonst nach China.

Mehr davon? Die ARD zeigt um 21.45 Uhr die Doku „Lederhosen im Reich der Drachen – Karl Moik erobert China“.

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