Zwischen den Rillen
: House Potatoes

■ Musik für junge Erwachsene: Everything But The Girl und Donna Regina

Irgendwann einmal, keiner weiß mehr genau, entstand House, der Sound, der in den Warehouses lief: wild, drogenverseucht und sonstwie aufregend – der Rest ist bekannt. „My house is your house and your house is mine“ hieß eine Parole, und die Verheißung war, dass am Ort des Raves alle und niemand zu Hause sind und für immer aufbleiben.

Das ist lange her. Jahre später sitzt man dann doch in Wohnungen mit Einbauküche, hat keine Lust rauszugehen, will aber trotzdem Musik hören. Die sollte dann auch nicht mehr von ominösen Projekten hergestellt werden, sondern von identifizierbaren Künstlern. Am besten von einem Mann und einer Frau: von einem Paar. Man geht ja auch nicht mehr mit jedem aufs Klo. Das ist die Stunde von Qualitätspop aus der House-Matrix.

Qualitätspop aus der House-Matrix: Everything But The Girl Abb.: Cover

Genau dafür gibt es Everything But The Girl. Ein Stück ihrer neuen Platte heißt „Lullaby Of Clubland“, und genau so ist das ganze Album. Was nicht zuletzt deswegen so perfekt funktioniert, weil Ben Watt, die eine Hälfte von Everything But The Girl, mittlerweile einer der gefragtesten House-DJs von London ist und genau weiß, wie ein House-Track zu laufen hat, wenn er noch ein Clubgefühl atmen, aber eigentlich nicht mehr zum Tanzen gespielt werden soll. Nach dem Popjazz und dem Popsong der Achtziger, allen möglichen experimentellen Zwischenstufen und schließlich dem Pop-Drum'n'Bass der letzten Platte, sind Everything But The Girl nach drei Jahren der Ruhe nun bei House gelandet, und es steht ihnen nicht schlecht zu Gesicht. Nicht dass hier irgendetwas neu erfunden würde, aber „Temperamental“ fängt eine gewisse Stimmung und Befindlichkeit perfekt ein. Eine Mischung aus Melancholie, unbestimmter Sehnsucht und beginnendem Älterwerden. Mal sinniert Sängerin Tracey Thorn darüber, jemandem übel mitgespielt zu haben, aber damals einfach zu jung gewesen zu sein, um zu wissen, was sie an ihm gehabt habe, und jetzt sei es zu spät. Schuld sei sie trotzdem. Mal schaut sie sich zu Hause um und fragt sich, wo denn die anderen wohl sein mögen.

Die sitzen wahrscheinlich auf ähnlichen Sofas, denken über ihre Probleme nach und kommen zu keiner Lösung, aber auch zu keiner Depression. Und so spült einen Tracey Thorns Stimme durch die Platte, alles ist äußerst persönlich, und doch hat man nach dem Ende eines jeden Stücks vergessen, worum es ging: perfekter Pop eben. Qualitätspop für Erwachsene.

Donna Regina sind auch ein Paar, kommen aus Köln und gehen ähnlich vor. Nur ist der Grad der Verfeinerung hier höher. Im Unterschied zu Everything But The Girl wollen Donna Regina nicht in die Charts. Zwar bezieht ihre Musik die Elemente aus den gleichen Quellen, aus House-Überbleibseln, versetzt mit Downtempo-Elementen, und der Fokus liegt auch hier auf der Stimme der Sängerin, Regina Janssen, um die sich der weiche fluffige Sound herumlegt. Doch wo es bei Everything But The Girl auf Oberflächlichkeit hinausläuft, schlagen Donna Regina eine Extrakapriole, holen noch ein Waldhorn mit ins Arrangement – hier wird so lange raffiniert, bis der Sound Zucker ist.

Die Platte dreht sich, mal auf Französisch, mal auf Englisch, vor allem aber um eine ruhige Woche zu Haus. Um den Ort, an dem man sich wohl fühlt. Da gibt es noch immer ein Gefühl von Beengung, aber dem kann man ja durch Schlafen und Träumen oder Spaziergänge entkommen oder schlicht dadurch, dass man aus dem Fenster schaut und den Schneeflocken zusieht. Schnee ist allerdings nur noch gefrorenes Wasser, singt Regina, und ein Restbestand an Sehnsucht ist ihrer Stimme nicht abzusprechen.

Doch das Zuhause ist eben ein cosy cage, und vielleicht rührt die Melancholie auch daher, dass es nichts mehr gibt, vor dem unbedingt davongelaufen werden müsste, bei gleichzeitig recht luzidem Bewusstsein davon, damit endgültig erwachsen zu sein. Und damit eigentlich auf der falschen Seite zu stehen.

In London soll es seit einiger Zeit Raves geben, auf deren Flyer mit einem Kinderhort geworben wird: No more excuses – bring your fucking kids!

Tobias Rapp

Everything But The Girl: „Temperamental“ (Virgin) Donna Regina: „A quiet week in the house“ (Karaoke Kalk/ Groove Attack)