Landesgericht stoppt Schleierfahndung

In Mecklenburg-Vorpommern sind Polizeikontrollen ohne konkreten Verdacht nur noch an der Grenze möglich. Auch Kontrollen des BGS hat das Landesverfassungsgericht leicht eingeschränkt  ■   Von Christian Rath

Freiburg (taz) – Die landesweite Schleierfahndung in Mecklenburg-Vorpommern ist verfassungswidrig. Dies entschied gestern das Landesverfassungsgericht in Greifswald. Zulässig sind „verdachtsunabhängige“ Polizeikontrollen bis auf weiteres nur noch in Grenznähe. Die Klage der Grünen hatte damit weitgehenden Erfolg.

Bei der Schleierfahndung kann jede beliebige Person von Polizeibeamten angehalten und überprüft werden, ein konkreter Verdacht gegen sie muss nicht vorliegen. Derartige Regelungen wurden in den letzten Jahren in einer Reihe von unionsregierten Bundesländern eingeführt: Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und eben Mecklenburg-Vorpommern. In Hessen ist bereits entsprechendes geplant. Gegen das Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern hatte die bündnisgrüne Landesgeschäftsführerin Ulrike Seemann-Katz mit ihren Mitstreitern Landesverfassungsbeschwerde eingelegt. Die Schleierfahndung verletze ihr Recht, „vom Staat in Ruhe gelassen zu werden“, solange keine Gefahr und kein Verdacht bestehe. Im Prinzip gab ihnen das Greifswalder Landesverfassungsgericht nun Recht. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließe „die beliebige Vereinnahmung zu staatlicher Zweckverfolgung aus“, heißt es in der Urteilsbegründung. Unterschieden wird aber nach dem Ort der Polizeikontrolle: Im Grenzgebiet „bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern“, auf Flughäfen, Fernbahnhöfen und auf dem Küstenmeer müsse stets mit grenzüberschreitender Kriminalität gerechnet werden. Hier sind die gesetzlich vorgesehenen Kontrollen weiterhin zulässig. Darüber hinaus durfte die Landespolizei bisher aber auch auf „Durchgangsstraßen“ im Landesinnern nach Gusto kontrollieren. Diesen Teil des Polizeigesetzes hat das Gericht gestern für „verfassungswidrig“ erklärt. Solche Kontrollen im Landesinnern wären nur zulässig, wenn das Gesetz bestimmte „Eingriffsschwellen“ festlegt. Im Einzelnen heißt das: Es muss mindestens um so genannte „organisierte Kriminalität“ gehen, wobei der Gesetzgeber vorher festlegen muss, welche Straftaten er hierzu rechnet. Außerdem muss eine „allgemeine Gefährdungslage“ festgestellt werden, wobei auf die „polizeiliche Erfahrung“ zurückgegriffen werden darf. Allzu hoch sind diese Schwellen also doch nicht.

Im Bundesgrenzschutzgesetz des Bundes sind derartige Schwellen bereits eingebaut. Doch auch die Schleierfahndung an der Grenze ist nicht völlig ungeschoren davongekommen. Bis auf weiteres dürfen die dort gewonnenen Daten nämlich nicht mehr gespeichert werden, da eine „bereichsspezifische gesetzliche Regelung“ fehlt. Hierüber freuen sich die Grünen besonders: „Jetzt kann die Polizei keine Bewegungsbilder mehr anfertigen“, betont Seemann-Katz. Die spannende Frage ist nun, wie die Schweriner Landesregierung auf dieses Urteil reagiert. Verabschiedet wurde das Gesetz nämlich noch unter einer CDU/SPD-Regierung, während seit letztem Herbst SPD und PDS zusammen regieren. „Wir sind nach wie vor gegen die Schleierfahndung“, betont die PDS. Deutlich vorsichtiger ist dagegen das SPD-geführte Innenministerium. „Wir analysieren erst einmal das Urteil“, heißt es dort. Rechtliche Wirkung hat das Greifswalder Urteil nur für Mecklenburg-Vorpommern. Die sächsischen Grünen haben aber bereits angekündigt, mit einer entsprechenden Klage vor dem sächsischen Verfassungsgericht nachzuziehen.