Betr.: Calavera

Er hat sich frisch gewaschen fürs Gespräch. Als er die Baseballmütze abnimmt, glänzen seine pechschwarzen Haare noch feucht. Erst jetzt sieht man die Tätowierung auf seiner Stirn: „MS 13“, in gotischen Lettern. Man nennt ihn Calavera, den Totenschädel. Etwa weil er schon viele Menschenleben auf dem Gewissen hat? „Nein, weil ich so dürr bin.“

Calavera ist in San Mauricio aufgewachsen, einem fast noch ländlichen Viertel Mejicanos', dem gefährlichsten Vorort von San Salvador mit achtzigtausend Menschen. Zwei Morde gibt es im Durchschnitt pro Tag. Er wuchs im Haus seiner Oma auf, in einer dieser Lehmziegelhütten mit nur einem großen Zimmer. Dort lebte er zusammen mit Mutter und dem Rest der Familie, bis auf seinen Vater, der vor zehn Jahren illegal in die Vereinigten Staaten gegangen ist.

Irgendwann gab es Streit mit der Großmutter, und Calavera, seine Mutter und seine Geschwister sind nach San Jacinto gezogen, wo es vor billigen Bordellen wimmelt. Seither geht er nicht mehr in die Schule. „Dort bin ich in die Mara gegangen. Fast alle Freunde aus dem Viertel waren drin.“ Damals war er dreizehn, jetzt ist er achtzehn.

Die Bande von San Jacinto gehört zur Mara Salvatrucha. Ein paar Häuserblocks weiter hat die Mara 18 ihr Gebiet. Ein ständiger Auslöser für Streit war eine Bushaltestelle, die beide Maras für sich beanspruchten. „Bushaltestellen sind wichtig. Da kannst du betteln und klauen. Immer, wenn wir uns mit Drogen zugedröhnt hatten, haben wir dort Leute überfallen.“ Bis einer von einer anderen Mara kam ... „Einmal haben wir uns einen geschnappt und haben ihn erstochen.“

Vor einem Jahr ist Calavera nach San Mauricio zurückgekehrt. Der Grund: Seine Freundin bekam ein Kind. „Ein Mädchen, es heißt Yanira.“ Und seine Stimme wird ganz sanft. Mit Freundin und Tochter lebt er jetzt wieder im Haus der Oma. Auch San Mauricio wird von der Mara Salvatrucha kontrolliert, und so gab es keine Probleme. Man trifft sich täglich unterm Mandelbaum an der Straßenecke, man raucht und säuft, und das dauert dann bis zum Morgen. Die letzte Auseinandersetzung im Viertel gab es in der Neujahrsnacht. „Da sind die von der Mara Mao Mao in einem Auto herübergekommen. Einer hat eine Granate geschmissen.“

Blutiger Nachtrag: Vorigen Sonntag wurde Calavera, der Totenschädel, von einer Todesschwadron vor einem Tante-Emma-Laden in seinem Viertel ermordet. Drei Männer sprangen aus einem Auto, fragten, wer Calavera sei, drängten Freundin und Kind zur Seite und erschossen ihn.