: Kranke Mitarbeiter im Chrysler-Visier
■ Betriebsrat protestiert gegen unangemeldete Hausbesuche
Ein extrem hoher Krankenstand sorgt derzeit im DaimlerChrysler-Werk für seltsame Auswüchse: Vorgesetzte standen in den vergangenen Tagen plötzlich bei fünf kranken Mitarbeitern vor der Tür. „Ratz-fatz, einfach so ohne Voranmeldung“, wettert Betriebsrat Udo Richter – und schrieb prompt einen gesalzenen, offenen Brief an Werksleiter Martin Karr. Der Tenor: „Wehret den Anfängen“. Die Forderung: Stopp der Kontrollbesuche und dafür fragen: „Wie krank ist eigentlich die Fabrik?“.
Doch von der Werksleitung kam dazu gestern nur eine müde sieben Zeilen lange Erklärung: Man gebe dazu „keine öffentliche Stellungnahme ab“, schrieb Werks-Sprecher Wendelin von Machui in dem Fax. Die Kritik beziehe sich nur auf „ganz wenige, ungeplante Einzelfälle“. Die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit dem Betriebsrat in punkto Krankenstand gehe aber weiter. Denn das sei „nicht nur für die wettbewerbsrelevante Kostenposition des Werkes sehr wichtig“, sondern liege auch „im Eigeninteresse der Mitarbeiter.“
Aber die fühlen sich laut Betriebsrat Udo Richter jetzt „unter Druck gesetzt und kontrolliert.“ Und das nicht ganz zu Unrecht, verriet gestern indirekt die Konzernzentrale aus Stuttgart. Denn von dort hieß es: Die Mitarbeiter wurden besucht, weil sie länger telefonisch nicht erreichbar waren. Das wäre auch in anderen Werken passiert. Denn Arbeitgeber hätten auch eine Fürsorgepflicht: „Wir sind daran interessiert, wie es den Mitarbeitern geht“, sagte ein Sprecher aus Stuttgart.
Unter Fürsorge indes verstehen die Betriebsräte etwas anderes. Denn auch sie sind „in Sorge“ und „sprachlos“ über den hohen Krankenstand in Bremen: „Wir sind das schlechteste Werk überhaupt“, gesteht Betriebsrat Udo Richter. Doch das liege nicht daran, dass einige schlicht blaumachen – sondern an der Arbeitssituation samt Betriebsklima: „Wir arbeiten hier im Zweier-und-Dreier-Schichtsys-tem unter hohem Qualitätsdruck – da ist es wichtig, dass die Vorgesetzten auch mal loben und nach einer Krankheit fragen: Wie geht es dir?“
Aber stattdessen kämen schnell Sprüche wie „und der fehlt schon wieder“. Das konterkariere die werksinternen Bemühungen, den Krankenstand etwa mit Gesundheitswochen zu senken. Diesem Trend setzten die Hausbesuche nun die Krone auf. Wegen des hohen Krankenstands, der nebst Infos zu Liefertreue beim Vorstand landet, hätte die Chefetage offenbar nun die Nerven verloren. kat
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