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Die Waldorfschulen warten auf eine Wende

Ob die ehemals einheitssozialistisch regierten Staaten Mittel- und Osteuropas die Vielfalt der Schulen fördern – oder zumindest tolerieren –, sagt viel über den jeweiligen Stand der Demokratisierung. Auch die Waldorfschulen bekommen dies zu spüren  ■   Von Nana Göbel

Morgens früh um sieben wird der kleine Algirdas von seiner Mutter zum Waldorfkindergarten in der von großen Wohnblocks geprägten Trabantenstadt von Vilnius gebracht. Der Kindergarten ist seine Welt, denn er wird erst abends um halb sechs wieder abgeholt. So geht es den meisten Kindern in den mittel- und osteuropäischen Staaten, in denen beide Eltern mindestens einem, meistens aber zwei oder drei Jobs nachgehen. ErzieherInnen und LehrerInnen stehen durch diese Ganztagsbetreuung vor umfänglichen Herausforderungen.

Doch das ist beileibe nicht ihr einziges Problem. Seit der Implosion des kommunistischen Systems gibt es für alternative pädagogische Bemühungen, also auch für Waldorfschulen und -kindergärten, zum ersten Mal echte Entfaltungsmöglichkeiten. Wie autonom sie arbeiten können, ist zu einem Gradmesser der Demokratisierung geworden.

Mit der neu gewonnenen und zunächst recht großen Freiheit begannen 1989/90 die ersten waldorfpädagogischen Initiativen. Bis 1992/93 waren Schulen in Ungarn, Slowenien, Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Russland, Rumänien, Moldawien und in der Ukraine gegründet worden, bis zur Mitte der 90er-Jahre kamen weitere in Kroatien und Litauen hinzu.

Die bildungspolitische Situation ist in diesen Ländern sehr verschieden. Während z. B. in Russland und Rumänien Waldorfschulen innerhalb des staatlichen Schulsystems arbeiten, wobei manchmal auch nur einzelne Klassen mit entsprechendem pädagogischen Programm angeboten werden, konnten sie in Polen und Kroatien nur eine Duldung als Privatschule erreichen. Unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen ist dies äußerst schwierig, zumal Kinder unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Eltern aufgenommen werden sollen.

Inwieweit sich die früheren Ostblockstaaten tatsächlich für ein plurales Bildungsangebot entschieden, hing unmittelbar von der jeweiligen Bereitschaft zum Aufbau demokratischer Strukturen ab – die sich bekanntlich im Laufe der 90er-Jahre sehr wechselhaft entwickelte. Während kurz nach der Wende praktisch überall eine große Sehnsucht nach anderen, „freieren“ Schulen bestand und auch die meisten Regierungen dem mit großer Offenheit begegneten, versuchen inzwischen vielerorts alte Kader oder bemühte Bürokraten den Einfluss des Staates auf das Bildungssystem zu sichern. Mit national geltenden Lehrplänen und rigiden Prüfungsordnungen hält heute die „geregelte“ Welt wieder Einzug.

Das litauische Bildungsministerium etwa hat ein Schulprogramm entworfen, in dessen Mittelpunkt die freie Entfaltung der Persönlichkeit steht – scheinbar voll im Einklang mit den Zielen der Waldorfpädagogik, aber wie überall steckt der Teufel im Detail. Auch die Waldorfschulen mussten ein umfangreiches pädagogisches Programm vorweisen, das noch immer auf die Anerkennung durch das Bildungsministerium wartet. Bis dahin müssen die LehrerInnen um die Weiterführung ihrer Klassen jedes Jahr neu kämpfen.

In Rumänien ist durch einen bereits Mitte der 90er-Jahre geschlossenen Vertrag der Betrieb der zwölf bestehenden Waldorfschulen zumindest im Prinzip geregelt worden. Hier sind es die einzelnen Inspektorate, die auf subtile Weise in die Schulen hineinregieren, indem sie zum Beispiel die Einstellung von ihnen ausgesuchter, gar nicht entsprechend qualifizierter Lehrer anstelle von Waldorfpädagogen durchsetzen. Auch das Engagement der Eltern wird behindert: In Brasov hatten sie die Räume einer Schule gerade liebevoll hergerichtet, als ihnen die Behörden andere, unrenovierte Räume zuwiesen – wohl wissend, dass auch diese im nächsten Schuljahr in Privatinitiative erneuert werden.

Kroatien hat die zunächst für eine vierjährige Experimentalphase genehmigte Waldorfschule in Zagreb nach Ablauf dieser Frist und sehr positiven Berichten einer eigens eingerichteten Expertenkommission immer noch nicht genehmigt. Die Verhältnisse scheinen sich zu wiederholen: Wie der Waldorfkindergarten zu Zeiten der Kommunisten, so arbeitet heute die Waldorfschule in einem illegalen, aber allseits bekannten „rechtsfreien“ Zustand.

Ganz unübersichtlich ist die Lage in Russland, wo es zwischen 20 und 40 Waldorfschulen bzw. Schulinitiativen gibt, teils als staatliche, teils als private Institute. Wie sicher oder unsicher ihre rechtliche und wirtschaftliche Lage ist, hängt – wie alles in Russland – davon ab, über welche Beziehungen sie im lokalen Bereich verfügen. Anweisungen aus Moskau haben für die behördliche Praxis schon lange keine Wirkung mehr, und so kommt es weit mehr auf das Agieren der jeweiligen Stadtregierung an. Ein gehöriges Quantum an Flexibilität ist in jedem Fall gefragt.

Ein völlig anderes Bild bietet Slowenien, wo die Waldorfschule in Ljubljana von kommunalen wie nationalen Behörden unterstützt wird. Die aktivsten Förderer der Waldorfpädagogik sind allerdings auch hier die Eltern. Sorgen für die künftige Entwicklung bereitet eher die Frage, ob die gerade gewonnene Schulfreiheit durch einen Beitritt zur Europäischen Union nicht wieder verloren geht. Das aber ist eine Aufgabe, die sich in allen EU-Mitgliedsstaaten stellt – insofern ist die Waldorfpädagogik in Slowenien schon in der Normalität angekommen.

Die Autorin ist Vorstand des Vereins „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“.

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