Ihr kommt hier nicht rein“

Im Berliner Umland leben inzwischen mehr Westler als Ostler. Die Einheimischen wehren sich mit Beschimpfungen und Anfeindungen – manchmal mit Erfolg  ■   Von Karen Heinrichs

Fast täglich legen Bauherren neue Grundsteine in Brandenburg. Auch Bürgerinitiativen gegen den Zuzug der Westler können das nicht verhindern.

Entzückende Einfamilienhäuser auf großen, grünen Anwesen – nur wenige Kilometer vor der Millionenstadt Berlin in der 2000-Seelen-Gemeinde Wilhelmshorst. Hier brummen keine blechernen Vögel über die Dächer wie in Berlin mit seinen zwei Stadtflughäfen. Hier schweben echte Bussarde lautlos über die Gärten. Und hier hat sich Familie Gabler* aus Westberlin ihr Nest gebaut. 300 Quadratmeter Wohnfläche und traumhafte 1.800 Quadratmeter Grundstück gehören den sechs Gablers. Iris Gabler hat das schmucke Haus mit dem 100-Quadratmeter-Wohnzimmer selbst entworfen und wochenlang geplant. Für ihren Traum hat sich die Familie in einen Haufen Schulden gestürzt – nur die Rechnung ohne die Nachbarn gemacht.

Seit sie hier wohnen, gab es nur Ärger. Das Haus war noch im Bau, da haben Unbekannte mit einem Schlüssel ihr Auto zerkratzt. Wenig später schnauzte sie ein Nachbar von der Seite an: „Ihr Wessis kommt hier nicht rein.“ Andere sagen: „Du bist Wessi, du bist reich, du bist Scheiße.“

Auch in den Nachbardörfern wollen die Alteingesessenen nichts von den Zugezogenen wissen. Einem älteren Ehepaar, das vor acht Jahren aus Westberlin nach Stahnsdorf gezogen war, haben Jugendliche in großen Lettern „Wessi“ an die Hauswände gesprüht.

Die Dörfler hegen ihren Groll nicht grundlos. Nach der Wende kamen oft reiche Wessis und forderten alten Grundbesitz zurück. Allein in Kleinmachnow haben so zwei Drittel aller Immobilien den Besitzer gewechselt.

Doch auch ständige Anfeindungen und sogar Bürgerinitiativen konnten den Zuzug weiterer Westberliner nicht verhindern. Fast täglich legen Bauherren Grundsteine. In Kleinmachnow wird dieser Tage auf 20.000 Quadratmetern eine ganze Eigenheimsiedlung für 53 Bonner Familien aus dem Boden gestampft. Mittlerweile kommt auch in Wilhelmshorst die Hälfte der Einwohner von der anderen Seite der ehemaligen Grenze.

Bei Iris Gabler liegen die Nerven blank. Vor kurzem haben rechtsradikale Mädchen ihre jüngste Tochter Franziska* auf offener Straße angegriffen. Iris Gabler ist immer noch schockiert: „Da kriegt man richtig Angst, hier zu leben. Ich halte es nicht mehr aus.“ Nur vier Jahre nachdem die Familie in die ostdeutsche Idylle gezogen ist, will sie wieder weg. „Wir bleiben nur noch so lange, bis unser jüngster Sohn das Abitur gemacht hat.“ Die Familien-Fluchtburg der Gablers steht schon: eine Eigentumswohnung auf Sylt. Dorthin zieht sich Iris Gabler schon jetzt manchmal zurück.

Die 50-jährige Hausfrau hat sich in Wilhelmshorst nie einleben können. „Dabei hat mich die Solidarität zwischen den Menschen immer fasziniert, wenn ich zu Besuch in der DDR war.“ Heute hocke sie nur noch mit Wessis zusammen, habe kaum Kontakte zu Einheimischen: „Das ist genau das, was ich nicht wollte.“ Die Gablers haben das Gefühl, sich ständig für ihr großes Haus und ihren alten BMW rechtfertigen zu müssen. In der Schule wird Franziska wegen des vermeintlichen Reichtums ihrer Familie beschimpft. „Und gleichzeitig jammern die ständig über ihre eigene Situation“, ärgert sich Iris Gabler. „Wahrscheinlich haben wir mit unseren Weihnachtspaketen das Bild vom reichen Westen vermittelt.“

Immo Schilling lebt erst drei Jahre im Osten. Der 25-jährige Student der Forstwirtschaft wollte raus aus der Stadt und zurück zur Natur. Außerdem hatte er keine Wahl, zog ins Brandenburgische nach Eberswalde. An den West-Unis hatte er keinen Studienplatz bekommen.

Dass es in seinem Studentenwohnheim auch sechs Jahre nach der Wende nur an den Wochenenden warmes Wasser gab, dass es in der Uni nach Kohlen roch oder dass man sich auf den Kopfsteinpflasterstraßen das Auto demoliert habe, all das fand Immo Schilling anfangs fürchterlich. Trotzdem hat er am längsten von seinen westdeutschen Kommilitonen durchgehalten. „Die anderen sind mit den Menschen hier überhaupt nicht klargekommen und gleich nach den ersten Semestern geflüchtet.“ Und so ganz hat auch er sich noch nicht an die anderen Sitten gewöhnen können: „Im Westen passiert es nicht so oft, dass dir auf der Straße ein Rechtsradikaler mit Kampfhund entgegenkommt.“

Auch Immo Schilling ist als „reicher Wessi“ geschnitten worden. „Ein größeres Auto zu fahren als die erwachsenen Ossis im Dorf ist tödlich.“ Aber er hat Verständnis: Viele Westler kämen mit einer riesigen Arroganz daher und bemühten sich nicht wirklich um Kontakte. „Klar sind die Menschen hier anders, viel verschlossenener und pessimistischer.“ Oft fühlt er sich wie das Frustventil seiner Nachbarn.

Mittlerweile ist der Student aus dem Wohnheim ausgezogen, lebt jetzt in Spechthausen, in einem Appartement, in dem es auch an Werktagen warmes Wasser gibt. Und er hat eine ostdeutsche Freundin. Den größten Liebesbeweis hat er aber von seinen Nachbarn bekommen, die seit kurzem gerne auf einen Schwatz vorbeischauen und ihm frische Eier bringen. Sie haben ihn in ihr Herz geschlossen: „Du bist der beliebteste Wessi im Dorf.“ * Name von von der Redaktion geändert