Nadschibullah küsste mich“

■ taz-Monarchen-Serie: Könige, die keiner kennt. Heute: Aus dem wechselvollen Leben von Jens I., dem König von ganz taz-Inland

Ein König“ steht verschämt an der Tür. Dahinter, in einer unauffälligen Mietwohnung im Berliner Norden, frönt Jens I., König des Inlandes, heimlich seinen Neigungen: „Rammstein-Hören mit meinen Töchtern“ zum Beispiel.

Der natürliche Adel seiner Familie setzte sich auch unter widrigsten Bedingungen durch. So stieg Vater Klaus I. in der DDR, dem Reich des Klassenfeindes, trotz edlen Geblüts in höchste Regierungsämter auf. Seiner Neigung zu edlen Stoffen folgend wurde er stellvertretender Minister für Glas und Keramik. Prinz Jens I. pflegte derweil standesgemäß das Violinspiel und brillierte bei der körperlichen Ertüchtigung: Im zarten Alter von 10 Jahren war er bereits DDR-Meister im Pferdsprung. Kaum seiner Erziehungsanstalt, dem Roten Kloster in Leipzig, entwachsen, wurde der Prinz in das tadschikische Hochgebirge Fan gesandt, wo er einen höchstselbst erklommenen 5.000er auf den Namen „Pik Junge Welt“ taufte. Höhepunkt der königlichen Visiten: ein Gespräch des jungen Hofschreibers mit dem afghanischen Potentaten Nadschibullah. Der „Schlächter von Kabul“ schloss den edlen Spross derart ins Herz, dass er ihn zum Abschied gar küsste: „Ich erinnere mich noch genau an Nadschis Rasierwasser“, erzählt der König noch heute gern.

Auch die nächste Revolution konnte unseren Prinzen kaum irritieren: Seiner Heimat verlustig gegangen, stieg er nach der Wende vom Herrscher über die junge Welt ins standesgemäße Amt auf: Als König des Inlandes steuert er heute in hochmögendem Stoizismus und gütiger Strenge die Geschicke des Landes. Einziger unauslöschlicher Schatten im Glanz unseres geliebten Herrschers: Kein Thronfolger weit und breit, nur uneheliche Prinzessinnen bevölkern seinen kohlegeheizten Sitz. oes