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Grillen zwischen Stahlplatten

■ Wie das spitze Zirpen einer Sommernacht auf einer Baustelle im Herbst klingt: Bernhard Leitner mit zwei Klanginstallationen im Rohbau der HypoVereinsbank im Park Kolonnaden

Auf Berliner Baustellen geht es immer noch abenteuerlich zu. Zwar sind auf dem Folder der HypoVereinsbank allerlei Gebäude im Park Kolonnaden eingezeichnet. Vor Ort allerdings stolpert man über ein leeres Feld mit ausgeschachteten Tiefgaragen und Betonfundamenten. Nur die Blöcke 1 und 2 stehen.

Dort hat Bernhard Leitner im Rohbau seine „Ton-Architektur“ aus satellitenartigen Metallkuppeln, 60 hängenden Stahlplatten und zahllosen Lautsprechern eingerichtet. Für den Titel der beiden Klanginstallationen hat der in Wien lebende Künstler Stimmungen beschrieben, die sich beim Betrachter mit der Akustik einstellen.

Tatsächlich hat man das Gefühl, dass die Töne einer Posaune oder das auf Tape festgehaltene Zirpen von Grillen sich im Verhältnis zum Raum „weiten“ und „verdichten“ – „sommerlich“, wie Leitner es nennt. Meditativ ist an diesem Szenario allerdings nichts: Im oberen Raum sind die Stahlplatten in schlichten geometrischen Reihen zwischen nackten Betonpfeilern angeordnet, und unten hängen die zehn gewölbten Klangkörper in etwa viereinhalb Meter Höhe von der Decke.

Überhaupt könnten die ausgestellten Objekte auch zum Betrieb auf der Baustelle gehören. Leitner selbst sieht sie als Material, das erst durch das angeschlossene Lautsprechersystem eine Funktion erhält. So verwandeln sich die schmalen Gehwege zwischen den Platten im Zusammenspiel mit den Tönen zu einem passagenartigen Labyrinth: Mal wird man vom Feedback der Posaune in einen der Gänge hineingesogen, dann wieder drückt der Wall of Sound den Betrachter förmlich zwischen den Platten wieder heraus. Obwohl nur ein Ton auf der Tuba angeblasen wird, entwickelt sich durch dessen Brechung und Widerhall auf den Stahlplatten ein gewaltiges Orchester überlagerter Frequenzen, das später noch von einer zusätzlichen Posaune enorm verstärkt wird. Irgendwann scheinen sich die Schwingungen von Stahl zu Stahl wie in einer Kathedrale auf den ganzen Raum zu übertragen.

Für das zweite „Ton-Feld“ hat Leitner den Sound sehr viel stärker zurückgenommen. Exakt ausbalanciert hört man die Grillen nur, wenn man genau unter der Klangquelle steht. Schon einen Schritt zur Seite ist das Zischeln der Tiere ein kaum lokalisierbares Geräusch. Solchermaßen fixiert bekommt der Sound eine physische, fast skulpturale Dichte. Jede der zehn aufgehängten Boxen bringt eine unsichtbare Säule aus Klang hervor – als hätte die akustische der realen Architektur eine zweite Räumlichkeit eingezogen.

Die technische Abstraktion fügt sich zudem gut in das abgebildete Phänomen: Mit der Zeit gewöhnt man sich an das spitze „Zirpen einer Sommernacht“, in der Leitner die paarungswilligen Grillen aufgenommen hat. Nächstes Jahr ziehen dann die Banker ein und mit ihnen das Zirpen leistungsfähiger PowerMacs. Harald Fricke ‚/B‘Bis 5. 11., täglich 14–20 Uhr, Klangkunstforum Park Kolonnaden, Köthener Ecke Stresemannstraße

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