Erinnerungslandschaft Buchenwald

Die Neukonzeption der Gedenkstätte auf dem Ettersberg bei Weimar ist abgeschlossen  ■   Von Thomas Gerlach

Buchenwald (taz) – Volkhard Knigge will erleichtert wirken. Aus seinem Mund purzelt Dank: Historikerkommission, Opferverbände, Landesminister, Bundesregierung, Kulturstadt-GmbH bis hin zum Elektromeister, der die Kabel in der neuen Ausstellung verlegt hat. „Dies ist weder ein historischer Denkmalsturz noch Siegerjustiz, sondern das Ergebnis sachlicher Forschung“, beginnt Knigge, der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald den Tag, an dem acht Jahre „Suche nach gerechtem Gedenken“ enden.

Knigge selbst ist seit fünf Jahren dabei. Die Expertenkommission, die Empfehlungen zur Neugestaltung erarbeitete, wurde 1991 berufen. Seit Sonntag steht auch der letzte Teil der Dauerausstellungen für Besucher offen. Knigge ist am Ziel. Und erschöpft. Sein Dank lässt ahnen, welche Rangeleien von antifaschistischen und antistalinistischen Opferverbänden auszuhalten waren über die neue Deutung des Vergangenen.

Und welche Rangeleien in Zukunft noch anstehen werden. Auf der Pressekonferenz am Freitag drohte Knigge seinen Rücktritt an, sollten sich Gerüchte bewahrheiten, dass ab 2003 die Hälfte der Fördermittel, die bislang der Bund trägt, wegfallen soll zu Gunsten einer bloßen Projektförderung von Fall zu Fall. Die Arbeitsmöglichkeiten würden dadurch eingeschränkt, das Niveau könne dann nicht mehr gehalten werden.

„Opfer, Tat, Aufstieg“ ist eine Dokumentation der Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald von 1945 bis 1999. Die Historikerkommission empfahl, drei „Erinnerungssphären“ zu schaffen: Der Schwerpunkt soll auf dem Konzentrationslager bis Kriegsende liegen; die Erinnerung an das Speziallager II der Sowjets von 1945 bis 1950, zu DDR-Zeiten totgeschwiegen, soll nachgeordnet werden. Außerdem empfahl sie, die DDR-Ausstellung mit Thälmann-Gedächtnis und KPD-Verklärung neu zu ordnen.

Der flache Klinkerbau empfängt die Besucher mit der Gegenüberstellung von meterhohen Fotografien der Leichenberge und von der Einweihung der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“ durch die SED-Oberen. Zwischen Menschenelend und sozialistischem Märtyrergedächtnis liegen liegen nur 6 Meter. Oder 13 Jahre. 1958 hatte die Einheitspartei das Buchenwald-Gedenken komplett verstaatlicht.

Der Kampf um die Deutungshoheit begann aber schon wenige Monate nach Befreiung des KZ durch die Amerikaner. Der ehemalige Häftling Werner A. Beckert rettete die letzte Asche aus dem Krematorium und wollte ein Urnengrab in der Nähe der Fürstengruft, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Goethe und Schiller, errichten. 40 andere Häftlinge sprachen sich dagegen aus und unterstellten Beckert „private Bereicherungs- und Gewinnabsichten“. Schon bald zog das Politbüro unter Ulbricht die Sache an sich, Buchenwald-Häftlinge wurden wieder kalt gestellt. Zwei kamen 1950 wieder in ein Lager – nach Sibirien. Andere gingen in den Westen.

Blatt für Blatt und Foto für Foto zeigen die Vitrinen die Niederlage des Gedenkens unter der ideologischen Überformung durch den entstehenden Arbeiter-und-Bauernstaat: Antifaschismus als Legitimation des besseren Deutschland gegenüber dem Klassengegner im Westen. Die Wände der Ausstellung sind mit vergilbten Papieren behängt, alten Bildern, Briefen, Erklärtexten. Über allem schwebt die DDR-Nationalhymne und umrahmt die originalen Fernsehbilder, die das Eröffnungszeremoniell von 1958 zeigen. Ulbricht und Grotewohl, unter sich das Ameisenvolk, hinter sich den dräuenden Buchenwald-Turm, daneben die Armee. Die Stasi notierte, die Stimmung sei „positiv“. Nur die jugoslawische Delegation fühle sich offenbar als „fünftes Rad am Wagen“. Die Genossen analysierten: Es müsse beachtet werden, „dass es sich nur um Personen bürgerlicher Herkunft handelt, welche besonders empfindlich sind“. Arbeitern, Bauern und Kulturschaffenden der DDR wurde solche Empfindlichkeit meist ausgetrieben. An Fritz Cremer, dem Schöpfer der Figurengruppe unterhalb des Turms wird die Verbiegung besonders deutlich. Cremers erster Entwurf orientierte sich noch an einer Plastik von Auguste Rodin. Alle Häftlinge stehen gleichberechtigt, einer hebt die Hand zum Schwur. Das Neue Deutschland verriss diesen Vorschlag: bloßer Naturalismus. Wo bleibt der Kampf, der Sieg? Was letztlich gegossen wurde, ist ein Angriffskollektiv, ein Polittheater, in dem die Kommunisten Fahne, Gewehre und Zuversicht tragen.

Beim Festakt im Kino der Gedenkstätte hob Knigge doch noch an, das DDR-Buchenwald-Gedächtnis zu würdigen: „In einer Zeit, in der im Westen das KZ Dachau zur Wohnsiedlung Dachau-Ost umfunktioniert wurde, in der die Gaststätte 'Zum Krematorium‘ hieß, hat die DDR richtig viel Geld für dieses Denkmal ausgegeben.“ Erinnerungspolitik, das zeige nicht zuletzt die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal, finde sich überall, in der DDR als Vereinnahmung, im Westen als Vergessen. Gastredner Wolfgang Thierse machte seine Erfahrung mit dem Buchenwald-Ritual: Thälmann-Gedächtnis im Krematorium, anschließend Bockwurst und Schnitzel in der Kantine. Doch Buchenwald bot auch immer Platz für anderes, „gerechtes Gedenken“. Volkhard Knigge hielt fest: „Auch im falschen Denkmal kann man richtig gedenken!“

Oder im richtigen gar nicht. Am Wochenende attackierten Rechtsextremisten in der KZ-Gedenkstätte zwei afrikanische Besucher. Sieben Tatverdächtige wurden noch auf dem Gelände festgenommen, die Polizei ermittelt nun wegen Volksverhetzung.