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Die Beerdigung des Salonlöwentums

■ Heute kommt ins KITO der Karikaturist F.W. Bernstein, einer der Helden der Neuen Frankfurter Schule und nettester Mensch der Welt

Er ist schlank und hochgewachsen. (Hochgewachsen ist die noblere Form von groß.) Diese Stattlichkeit wird von einem langen Herbstmantel ,unterstrichen', wie „Amica“ sagen würde. Ein weiße Schnauzer bürstet die Nase mit nietzscheanischer Ungebärdigkeit. Mit anderen Worten: F.W. Bernstein hätte allemal das optische Potential zu einem selbstzufriedenen, auftrumpfenden Professorenarschloch. Ist er aber nicht.

Um einen lebendig-krakeligen Strich hinzukriegen, muss er seine filigranen Klavierspielerhände manchmal austricksen. Dann malt er mit der linken Hand oder mit der Faust. (Nichts ist in der Kunst schwerer als kalkulierte Unbeholfenheit.) Frei von Arroganz (er nennt es „Selbstbewusstsein“) ist er jedoch ganz von alleine. Schieben tut er's auf seine proletarische Herkunft. Der Vater malochte in einer Filzlappenfabrik. Die Mutter plapperte in der Küche dummes Zeugs, über Apfelkuchen und so. Der Sohn vergrub die Nase in dicken Büchern und schwieg. Nicht mal die selbstbewusstseinsfördernden Freuden der Jugendrevolte, so mit langen Haaren und Vaterhass, wurden ihm vergönnt. Denn dummerweise war der Vater ein Held des antifaschistischen Widerstands; sein Überleben, nichts als eine Laune des Zufalls. Dafür musste der Sohn Klavier spielen, DAS Symbol des Aufstiegs aus dem Kleinbürgertum – und tut das bis auf den heutigen Tag auch noch gerne. Und als er mal die Regentropfenballade von Chopin spielte, jubelte der Vater melancholiedurchtränkt: „Es war das letzte Stück, dass die Vorbesitzerin des Klaviers, die schöne jüdische Fabrikantentochter, vor ihrer Flucht vor den Nazis darauf spielte.“ Seine vom Vater ererbten Sympathien für das Judentum bewirkten denn auch, dass „Bernstein“ das Pseudonym des Herrn Fritz Weigle wurde und nicht Smaragd oder Opak.

„Salonlöwe“ wäre er gerne. Also einer, der auf den Flügeln der Wortgewandtheit durch alle denkbaren Situationen vom Bahnhofsvorplatz bis zur Philosophenrunde elegant schwebt. Um dieses Salonlöwentum beneidet er Adorno. Und vermag es doch selber, aufs Trefflichste über den Stabreim von Wagner bis Rühmkorf zu plaudern, von den Italienreisen des Marxisten Sohn-Rethel zu Birgit Breuels Flop bei der Expo Hannover überzuleiten. Oder über Richard Strauss' Wandel vom revolutionären Salomé- und Elektrakomponisten zum Rosenkavalier-Anachronismus zu staunen.

Im Gegensatz zu vielen „ernsten“ Künstlern sind Karikaturisten klug und gebildet. Auch die salonlöwige Verknüpfung von Anekdotenplausch und tieferem Hintersinn beherrscht Bernstein. Zum Beispiel, wenn es um Adornos Beerdigung 1969 geht. Damals lautete die Glaubensfrage Sweatshirt oder Jackett. Bernstein entschied sich für den Anzug. Damals war er schon Lehrer. 1984 erhielt er eine Professur. Aber nicht, wie es in vielen Biografien heißt, für Cartoonwesen. Er unterrichtet Grund- und Hauptschulstudenten im Zeichnen. Und manchmal gibt's als Extra Kari-Kunstgeschichte.

Karikatur ist Kunst, sagt Bernstein. Das wisse man spätestens seit einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Anfang der 80er Jahre bestätigte das die Verurteilung einer F.J. Strauss-Kari der „konkret“ mit einer salomonischen Begründung: Karikatur sei zwar Kunst, aber auch Kunst könne den Tatbestand der Beleidigung erfüllen.

Eigentlich wollte Bernstein zielgenaue politische Karikatur machen. Doch während seiner Zeit bei pardon „entdeckte“ er den Nonsens. Heute ähneln seine Kunstverfertigungsstrategien gar denen des „ernsten“ Künstlers: Er krakelt absichtsfrei ein paar Striche – und entdeckt einen Kopf auf dem Papier. Oder er lässt es abstrakt wolken – und plötzlich ist ein Schweinewanst unvermeidlich. Die Titel findet er im nachhinein, nicht selten inspiriert vom Moment. (Manches heißt dann auch flüchtigkeitsbewusst: 10.4.97, ab 10 Uhr 27) Eine raffgierige, verkrampfte Hand etwa kann nach nervenden Gesprächen mit nervenden Kollegen schon mal „Kultur“ heißen.

Aber es gibt auch klassische Kalauer, also die knallige Idee, die anschließend nur noch aufs Blatt geworfen werden muss. Das schöne deutsche Wort „Verkehrsinsel“ (und mehrere verzweifelte Steckenbleiberlebnissen auf ebensolchen) motivierte Bernstein zu einem Bild über einsames Robinson-Crusoe-Dasein auf einer autoumfluteten, palmenbewedelten Verkehrsinsel. Zum Weinen süß.

Oft sind die Wege der Inspiration unergründlich! Ein Dirigierstab auf dem Bild eines Freundes inspirierte Bernstein zu einem Doppelbild namens „Randhalten“. Dort stemmt sich eine Figur karyatidenhaft gegen den Blatt-RAND und ein Zeigefinger verbietet einem Mund (vulgo: RAND) zu sprechen. Und was hat das mit einem Dirigierstab zu tun? Der Zeigefinger hat entfernte Ähnlichkeiten. Das nennt man Um-37-Ecken-denken. Und hinter der 38-sten kichert es melancholisch.

Manchmal lockt Bernstein das wertvolle Juwel namens Einfall durch Postkartenfreundschaft z.B. mit StudentInnen herbei. Sendung für Sendung wird zum Beispiel eine Ausgangskonstellation von F.K. Waechter (Schwein, Schuh, Gans) in immer neuen Variationen durchdekliniert. Dieses hartnäckige Stochern in einer Idee bewundert Bernstein auch an Wahrheitsseiten-TOM; zumal dort die Grundkonstellation eigentlich satireunfähig sind (ich sage nur: der Schwimmlehrer).

Überall ist bei Bernstein der Bruch, wegen des Witzes, aber auch wegen der Welt, ihrer fehlenden Salonlöwigkeit: der Bruch zwischen Sujet und Malstil (protzige Berliner Repräsentationsbauten als windschiefes Bleistiftgefuchtel), Titel und Bild. Und manchmal ist es noch nicht mal komisch. Sondern einfach gute Kunst. bk

Zur heutigen Vernissage um 20 Uhr hält der Wim-Wenders-Schauspieler Hanns Zischler im KITO die Eröffnungsrede. Die Ausstellung ist bis zum 21. November samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr zu sehen. Infos unter Tel.: 65 48 48.

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