: Russland schießt Tschetscheniens Hauptstadt sturmreif
■ Kämpfe und Luftangriffe immer heftiger. Jelzin fährt in Urlaub, die Nato guckt weg
Assinowskaja/Grosny (rtr/dpa) – Die russische Armee hat möglicherweise mit einem Versuch begonnen, Tschetscheniens Hauptstadt Grosny direkt einzunehmen. Nach einem Bericht des russischen Fernsehsenders NTW drangen russische Aufklärungseinheiten in der Nacht zum Dienstag erstmals in Vororte von Grosny ein und lieferten sich Gefechte mit Tschetschenen. In der Stadt schlugen Raketen und Granaten ein. Das Büro der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass in Grosny wurde durch russischen Beschuss verwüstet.
Nach tschetschenischen Berichten gingen russische Bodentruppen mit bis zu 200 Panzerfahrzeugen nördlich der Stadt zum Angriff über. Es handele sich um die bisher schwersten Kämpfe seit Beginn des Krieges vor einem Monat.
In Sichtweite des Flughafens von Grosny gebe es heftige Gefechte mit den Verteidigern, die in kleinen Kampfgruppen agierten, hieß es von tschetschenischer Seite. Das russische Fernsehen berichtete von zahlreichen Flüchtlingskolonnen, die aus Grosny zu entkommen versuchten. Flüchtlingskorridore durch die russischen Linien sollen jedoch frühestens ab Freitag geöffnet werden. Wo die Flüchtlinge angesichts permanenter russischer Artillerie- und Luftangriffe solange bleiben sollten, war unbekannt.
Auch die russische Luftwaffe intensivierte ihre Bombenangriffe trotz schlechten Wetters. Seit dem Vortag seien mehr als 30 Angriffe gegen Stellungen der Rebellen geflogen worden. Aus der Luft wurden 20 Kilometer Straße vermint, die auch potenzielle Fluchtwege für Zivilisten sind.
Neue russische Luft- und Artillerieangriffe wurden auch aus der Stadt Bamut gemeldet. Vom östlichen Dagestan aus rückten russische Truppen auf Gudermes, die zweitgrößte Stadt der abtrünnigen Kaukasusrepublik, vor. Die Stadt liege unter dem Feuer schwerer Artillerie.
Russlands Regierungschef Wladimir Putin zeigte sich unbeeindruckt von Friedensappellen des Papstes, der Vereinten Nationen, der USA und mehrerer europäischer Länder. „Alles läuft nach Plan“, zitierten ihn russische Nachrichtenagenturen. Präsident Boris Jelzin verabschiedete sich in einen Urlaub am Schwarzen Meer.
Nach Ansicht von Nato-Generalsekretär George Robertson sind die kriegerischen Auseinandersetzungen in Tschetschenien gegenwärtig nicht „Sache der Nato“. Laut „Gründungsakte über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ zwischen der Nato und Russland sind interne russische Angelegenheiten kein Thema des gemeinsamen Nato-Russland-Rates, sagte Robertson gestern in Brüssel.
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