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Export gut, Import schlecht

■  Die USA und der Welthandel: Lange waren viele US-Amerikaner gegen den Freihandel, weil das ihren Binnenmarkt schützte. Mit der Globalisierung ändern sich die Fronten

Washington (taz) – Freihandel? Jay Dickey ist unbedingt dafür. Nicht nur der Hühner wegen. Dickey vertritt im Repräsentantenhaus Bill Clintons alten Wahlkreis in Arkansas, und der ist die Heimatstätte von Tyson, dem größten Hühnerzüchter der Welt. Hier werden jährlich einige Millionen Hühner produziert, mehr als in Amerikas Grills und Suppentöpfen allein Platz haben. Mithin wären mexikanische oder karibische Handelsschranken geschäftsschädigend – nicht nur für den Giganten Tyson, sondern auch für die vielen Kleinbauern, die das Federvieh auf Kommissionsbasis in Rekordzeit zur Schlachtreife aufpäppeln.

Jay Dickey möchte am liebsten den Interstate Highway 69, der bisher vom hohen Norden nur bis Indianapolis reicht, durch Arkansas bis hinunter nach Mexiko ausbauen, um daraus den Kanada-Mexiko-Schnellweg zu machen – nicht nur, um Hühner darauf zu befördern, sondern weil an Fernhandelswegen Märkte und Produktionsstätten entstehen.Das wär doch was für das ländliche, hinterwäldlerische Arkansas.

Am anderen Ende des Landes und des parteipolitischen Spektrums ist Dennis Kucinich ein vehementer Kritiker des Freihandels. Er bringt regelmäßig Gesetzesvorlagen ein, die das Durchsetzen der WTO-Regeln in den USA verhindern sollen. Kucinich vertritt Cleveland, das Herz von Nordamerikas Ruhrgebiet. Er hat als Bürgermeister den Niedergang seiner Stadt erlebt und zusehen müssen, wie in weniger als 50 Jahren an die 300.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Die wenigsten gingen nach Mexiko in die Niedriglohnfabriken, aber das Entstehen dieser Fabriken unmittelbar hinter der mexikanischen Grenze gilt heute als größte Bedrohung industrieller Arbeitsplätze in den USA.

Freihandel ist in den USA ein innenpolitischer Zankapfel geworden, dessen Gegner und Befürworter sich nach Regionen, Interessengruppen und natürlich nach Parteibuch scheiden. Traditionell waren die Republikaner Gegner des Freihandels, und Demokraten waren dafür, solange Arbeit sich leichter bewegte als Kapital. Seit Arbeiter lieber wohnen bleiben, wo sie einen bescheidenen Wohlstand erzielt haben, Kapital sich aber mit Federstrich und Mausklick über den Erdball schieben lässt, haben sich die Fronten verkehrt. Außerdem eignet sich Freihandel natürlich zum parteipolitischen Hebel. Als der Kongress 1997 Bill Clinton die Vollmachten zum Aushandeln weiterer Handelsabkommen verweigerte, scheiterte die Gesetzesvorlage an Clintons Demokraten, nicht den Republikanern. „ Gar nicht wahr“, sagen die Demokraten. „Wir wollten minimale Zugeständnisse zum Schutz von Umwelt und Arbeiterrechten“, so ein Assistent von Kucinich, „das hätte die Republikaner nichts gekostet, uns entgegenzukommen, die wollten Bill Clinton eine Niederlage bereiten.“

US-Amerikaner sind traditionell protektionistisch, das liegt in ihrer Geschichte. Der riesige und nach außen lange abgeschottete Binnenmarkt hat Nordamerikas Wirtschaft groß gemacht. „Die Idee, Handelsschranken abzubauen, musste, um überhaupt eine Chance zu haben, im Gewande des Protektionismus daherkommen“, erklärt Brink Lindsey, Wirtschaftswissenschaftler am Washingtoner Cato-Institut. Der erste Versuch, Nordamerikas Zollschranken drastisch zu senken, kam 1934 mit dem so genannten Gegenseitigkeitsabkommen, das den Präsidenten ermächtigte, Nordamerikas Einfuhrzölle zu halbieren – vorausgesetzt, die Gegenseite täte das Gleiche.

Damit war zweierlei erreicht: Handelspolitik verlagerte sich aus dem Parlament, in dem regionale Sonderinteressen dominierten, in die Exekutive; Handelspolitik wurde zu einer Sache von zwei- und mehrseitigen Verhandlungen, die schließlich zu dem Dutzend Abmachungen führten, aus denen Gatt und WTO, die Kennedy-, Uruguay- und Seattle-Runde hervorgingen.

„Das war ein Pakt mit dem Teufel, der dazu führte, dass die Amerikaner ner eine schizophrene Haltung zum Freihandel haben“, kritisiert Lindsey, „Amerikaner haben die seltsame Auffassung, das Export gut, Import aber schlecht sei.“ Und das, obwohl jeder von freien Importe durch niedrige Preise und größerer Auswahl profitiert, während von den Vorteilen des Exports meist nur einzelnen Industrien profitieren und der gesamtgesellschaftliche Nutzen schwer vermittelbar ist. „Nur als starke Exportnation bleiben wir die Wirtschaftsmacht Nummer eins in der Welt“, doziert dazu Max Baucus, Senator aus Montana, auf einem Symposion über Welthandel.

Entsprechend werden Export- und Importschranken in den USA in der Metaphorik von Rüstung und Abrüstung sowie in der Begriffswelt des Kalten Kriegs diskutiert: Die USA wollen ihre Handelsschranken ebenso wenig einseitig senken wie ihre Atomwaffen einseitig abrüsten. Heute ist in den USA allerdings außer der populistischen Rechten, wie der Anfang der Woche von den Republikanern zur Reformpartei übergetretene Pat Buchanan, niemand mehr offen gegen Freihandel. Die Polemik gegen Freihandel ist dem Plädoyer für „fairen Handel“ gewichen. Bei der alljährlichen Debatte über den Handel mit China erlebt man, wie Handelsfragen in den USA den Zuschnitt großer ideologischer Debatten erlangen, die mit den Vor- und Nachteilen des freien Warenaustauschs nichts mehr zu tun haben.

Wie absurd die US-amerikanische Angst vor offenen Grenzen ist, lehrt ein Rückblick auf Nordamerikas Japansyndrom. Noch in den 80er-Jahren schien die japanische Exportoffensive die USA in ihren Grundfesten zu erschüttern. Wer japanische Autos fuhr, machte sich fast des Landesverrats schuldig. Heute wird man nicht einmal in der Autoindustrie jemanden finden, der nicht zugibt, dass die japanische Konkurrenz US-amerikanische Autos besser gemacht hat. Peter Tautfest

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