Geschichtsstunde ohne generelles Kaspertum

■ Die Skatalites, die dreadbelockten Väter der Ska-Bewegung, spielten am Freitag im Schlachthof auf

Der Schlachthof war voller Glatzen und deren Freundinnen mit den komischen Frisuren, die nach einer anonymen Meinung aussehen, als wäre mittendrin der Langhaarschneider kaputtgegangen. Vor dem Auftritt der Skatalites, die sich Anfang der Sechziger aus der Creme der Studiomusiker in Kingston/Jamaica rekrutierten und mit einem gewissen Recht als Mitbegründer der Ska-Musik gesehen werden dürfen, hatten die Veranstalter noch die Berliner Party-Kapelle The Butlers und Filibuster aus Kalifornien gesetzt.

Die Butlers führten eine äußerst beliebte Variante von Ska vor, die gänzlich von den Wurzeln dieser Musik in Rhythm & Blues, Doowop und Jazz abstrahiert. Vorzugsweise schnell und gut gelaunt sorgten sie ziemlich schnell für Tanzlaune. Ihr Schlagzeuger beschrieb den Unterschied zwischen ihrem Ska und dem der Skatalites übrigens recht treffend, als er sagte: „Wir sind der Motor, und am Schluss bekommt ihr den Groove!“, was zum einen die Funktionalität ihrer Musik unterstrich und zum anderen andeutete, was dem Auftritt der Butlers abging: Tiefe, Seele und eben Groove.

Filibuster spielen da schon in einer anderen Klasse. Nicht nur, dass sie einen hauptamtlichen DJ beschäftigen, der in HipHop-Manier scratcht. Sie kennen sich auch in den verschiedenen Spielarten jamaikanischer Musik ebenso gut aus, wie ihr Horizont darüber hinaus geht. Für ihre letzte Platte engagierten sie sich gar den Noise-Rock-Paten Steve Albini. Ihre Musik verbindet Ska, Rocksteady und Dub mit Rockelementen, ohne in die gängigen Fallen dieses Crossovers zu laufen, die da wären: schlecht nachgespielte Vorlagen, aufdringliche gute Laune und generelles Kaspertum. Trotz der Betonung des instrumentalen Elements, trotz langer Saxophon-Soli und des Verzichts auf stumpfe Animation kamen Filibuster hervorragend an. Mit ihrer geschichtsbewussten Mischung aus Alt und Neu bildeten sie einen hervorragenden Übergang zu den Skatalites.

Diese teils schon recht betagten Menschen gaben eine ausführliche Geschichtsstunde, einschließlich ihrer Hits wie 'Guns Of Navarone'. Drei Mitglieder der Originalbesetzung, die in den Sechzigern sämtliche Größen der jamaikanischen Musikszene begleiteten, fünf weitere Musiker, sowie Doreen Shaffer, die als Gast die Auftritte der Skatalites bereichert, begeisterten die Menge restlos. Mit der Gelassenheit und Souveränität lebender Legenden swingten und groovten die Skatalites durch ihre Songs, dass es nur so eine Art hatte.

Optisches Zentrum der Band war dabei der Sänger Lloyd Brevett, der am Standbass auch für die Tiefenwirkung zuständig war. Zwar war von den Ansagen des älteren Herrn mit den langen ergrauten Dreadlocks ungefähr nichts zu verstehen, aber das war nicht wirklich wichtig, weil der Mob sowieso die ganze Zeit nur tanzen wollte.

Ein Konzertbesucher warf noch die Frage auf, ob das Zusammentreffen zwischen weißen Glatzen und schwarzen Dreadlock-Trägern unter anderen Umständen zu ähnlichen Begeisterungsstürmen führen würde, wo Erstere doch andernorts nachweislich anraten würden, sich doch bitte mal die Haare schneiden zu lassen. Ein altes Problem der Szene, die sich zu einem nicht geringen Teil als „unpolitisch“ versteht, was sowieso schon ziemlich dämlich ist, und die sich auf eine Szene beruft, deren Hauptzeitvertreib in den Sechzigern darin bestand, nicht nur Hippies sondern auch Pakistanis oder InderInnen eins auf die Nase zu geben. Ganz unpolitisch.

Andreas Schnell