: Das Tröpfeln der Zitrone
Rückkehr der verlorenen Söhne ins Museumsdorf Berlin: Matthias Langhoff inszeniert am Deutschen Theater Thomas Braschs Bearbeitung von Ezra Pounds „Die Trachinierinnen des Sophokles“ ■ Von Esther Slevogt
Der verlorene Sohn, der heimkehrt, um dem bedrängten Bruder beizuspringen, hatte die Berliner Feuilletons in der letzten Woche arg in Rührung versetzt. Matthias Langhoff meets Thomas Langhoff, den von Radunski so grob vor die Tür Gesetzten. Man reminiszierte und schwelgte in Erinnerung. Wie schön war's bei Besson. Wie reizend bei der Weigel. Wie arm war Wolfgang Langhoff doch – bis der Matthias kam, damals und jetzt erst recht.
„Du warst meine Hoffnung“, rief der alte DDR-Kritiker Ernst Schumacher in der Berliner Zeitung aus. Und in der FAZ räsonierten die vereinten Brüder über die Zeit, als Matthias Langhoff noch der Ostermeier des DDR-Theaters war. 1978 ging er in den Westen. Angesichts der neuen Jugendschwemme im Theater will man noch mal richtig auftrumpfen. Frei nach Lotti Huber: Diese Zitrone hat noch viel Kraft. Dann hat es aus der Zitrone aber nur getröpfelt.
„Die Trachinierinnen des Sophokles“ von Thomas Brasch nach Ezra Pound und Eva Hesse. Es ist die Geschichte der Frauen von Trachis und ihrer Königin Deianeira, die darauf wartet, dass ihr Mann Herakles endlich nach Hause kommt, nachdem er jahrzehntelang die Welt mit seinen Taten beglückt hat. Dann kommt er schließlich, doch es ist zu spät. Er bringt eine Geliebte mit, und bei dem Versuch, seine Liebe zurückzugewinnen, deutet Deianeira einen Götterspruch falsch und tötet Herakles.
Matthias Langhoff hat vielleicht sich selbst in Herakles gesehen: der ferne Held, dessen Rückkehr daheim sehnsüchtig erwartet wird. Thomas Brasch sollte dem Stück noch etwas Dissidenten-Stallgeruch verpassen. Und man denkt, vielleicht ist Trachis ja so etwas wie das alte neue Berlin, was übrigens auch die Brasch-Bearbeitung manchmal nahe legt, und ist gespannt. Aber dann verlegt Matthias Langhoff Trachis, aus dem Ausstatterin Catherine Rankl einen wüsten Marktplatz gemacht hat, ins Nirgendwo.
Über allem kreist noch ein Schild mit der griechischen Aufschrift „Trachis-Center“. Aber dann betreten wir ein Museumsdorf. Die Frauen von Trachis sehen manchmal afrikanisch und manchmal arabisch aus. Wenn Männer kommen, halten sie sich keusch bunte Tücher vors Gesicht. Sind sie allein, wird wild zu afrikanischen Trommelrhythmen (Musik: Moustapha Cissé) getanzt und gesungen.
Dass so etwas wie Inhalt oder überhaupt ein Thema aufkommt, darauf wartet man zweieinhalb Stunden vergebens. Jeder Ansatz dazu wird regelrecht zugetrommelt und zertanzt. Zwar bekommen die temperamentvollen afrikanischen Tanz- und Gesangseinlagen immer wieder heftigen Szenenapplaus. Aber als das Stück zu Ende ist, bleibt der Beifall erst mal ziemlich matt. Dass der Abend nicht ganz im Trommelwirbel untergeht, ist Dagmar Manzel zu verdanken. Ihre Deianeira stemmt sich gegen die Welt und den Ethno-Kitsch der Inszenierung. Sie ist ganz echt.
Wenn sie wütend ist, dann grunzt und wütet sie wie der Minotaurus höchstpersönlich. Sie stampft und gurgelt, lacht und weint – dass sie am Ende dabei untergeht, war der Götter Ratschluss und nicht ihre Schuld. Und Herakles (Hermann Beyer), der erst ganz zum Schluss und schon halb tot die Bühne noch erreicht, stirbt, als er das begreift, versöhnt. Matthias Langhoff sonnt sich mit Thomas Brasch im trügerischen Applaus, den aber Moustapha Cissé erst wie ein indianischer Regenmacher herbeigetrommelt hat.
Nächste Vorstellungen: 6., 7., 14., 18. und 28. 11., Deutsches Theater, Schumannstr. 13 a
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