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Freispruch für Eid schon sicher

Staatsanwalt und Verteidigung sind sich einig. Auch im zweiten Prozess um den Brand in einem Lübecker Flüchtlingsheim wird die Tat nicht aufgeklärt  ■   Aus Kiel Heike Haarhoff

Im Prozess um den Brand in dem Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße hielt Staatsanwalt Andreas Martins gestern nach zweimonatiger Verhandlung erstmals eine längere Rede: Er plädierte. Und zwar auf Freispruch für den Angeklagten Safwan Eid. Weder die Zeugenaussagen noch die Brandgutachten, noch die Abhörprotokolle der Gespräche, die der Angeklagte während seiner Untersuchungshaft geführt hatte, hätten „in irgendeiner Weise einen Tatnachweis erbracht“. Dieser Ansicht pflichtete Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke kräftig bei: „Safwan Eid ist freizusprechen“, sagte sie vor dem Kieler Landgericht. Daran habe es nie einen Zweifel geben können. Die Nebenkläger forderten dagegen eine Verurteilung Eids „wegen Beihilfe zur Brandstiftung“.

„Der Fall wird – bei aller Tragik und allem menschlichen Leid – als ungeklärter in die Kriminalgeschichte eingehen“, prognostizierte Martins und ließ durchblicken, dass er damit durchaus zufrieden sei: „Die Staatsanwaltschaft hat kein Strafverfolgungsinteresse an diesem zweiten Prozess formuliert.“

Bei dem verheerenden Brand waren im Januar 1996 zehn Menschen ums Leben gekommen, 38 wurden verletzt, viele schwer. Der ehemalige Hausbewohner Eid ist angeklagt, das Feuer gelegt zu haben. Doch bereits in einem ersten Verfahren war er aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Der Prozess musste nun wegen eines Verfahrensfehlers neu aufgerollt werden.

Doch die „bloße Möglichkeit“ einer Täterschaft reiche eben für eine Verurteilung nicht aus, belehrte Martins. Zwar wurde in Eids Wohnung ein Benzinkanister gefunden und Eid habe Brandverletzungen gehabt. Das sage aber nichts darüber aus, „was der Angeklagte dezidiert gemacht haben soll“. Auch seine vermeintliche Aussage „Wir waren's“, die Eid in der Brandnacht gegenüber einem Sanitäter gemacht haben soll und die der Sanitäter gestern noch einmal vor Gericht bestätigte, sei kein Geständnis. Es sei nicht einmal sicher, wer mit „wir“ gemeint sei. Und die langwierige Übersetzung der 15 Stunden Abhörprotokolle aus dem Arabischen wertete Martins zwar als forensische Sternstunde – neue Erkenntnisse allerdings habe sie nicht erbracht. Die lieferte der Staatsanwalt sich und einem befremdend blickenden Gericht sodann selbst. Er „halte es für denkbar“, spekulierte er ungebeten, dass der Angeklagte möglicherweise seine jüngeren Brüder mit seiner Aussage habe schützen wollen.

Gegen die Brüder Safwan Eids ist in den vergangenen vier Jahren kein einziges Mal ein Verdacht geäußert worden. Den Staatsanwalt kümmerte das wenig. „Da hat einer, auf gut Deutsch gesagt, Scheiße gebaut, und wollte so möglicherweise einen seiner Brüder schützen“, ließ er seiner Fantasie freien Lauf. In jedem Fall sei er „der festen Überzeugung, dass der Angeklagte etwas weiß“, plauderte er zum allgemeinen Erstaunen vor sich hin.

Die Verteidigung reagierte mit gewohnter Schärfe: Nur aufgrund der „gezielten Verdachtsschöpfung“ und der „einseitigen Ermittlungen“ der Staatsanwaltschaft habe der „unnötige Prozess“ überhaupt stattfinden können. Der richterliche Freispruch wird für morgen erwartet.

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