: Sound of the Bourbon-Shtetl
■ Rhythm and Jews: Die „New Orleans Klezmer Allstars“ bringen ihren eklektizistischen Mardi-Gras-Klezmer in die Fabrik
Mit New Orleans kann man eigentlich nie ganz daneben liegen, wenn es um amerikanische Roots-Musik geht: Cajun, Zydeco, Brass Bands, Country Blues und Southern Soul – alles Formen, die im südlichen Louisiana entweder entstanden sind oder einen festen Platz in der dortigen Party-Kultur gefunden haben. Aber Klezmer, das findet doch woanders statt?
Sollte man meinen, schließlich liegen die Zentren dieses Revivals in New York und Kalifornien, also jeweils einen halben Kontinent entfernt. Aber wer den Mardi Gras im Rücken hat, braucht die Knitting Factory nicht zu fürchten, und deshalb musste es eigentlich auch eine Erscheinung wie die New Orleans Klezmer Allstars früher oder später geben.
Als die Klezmatics Anfang der Neunziger die groovigsten und sexysten „Bulgars“ und „Freylakhs“ seit Dave Tarras spielten, mit ihrer homoerotischen Umdeutung des Hohelied Salomons gar für einen kleinen Skandal sorgten, da war die Idee auch in New Orleans schon angekommen.
Seit sieben Jahren nun produzieren die New OrleansKlezmer Allstars ihre eigene Variante des Klezmer-Revivals, der man die Atmosphäre am Golf von Mexiko deutlich anhört. Wo John Zorns Klezmer-Ausflüge hochreflektierte Experimente in musikalischer Geschichtsschreibung und Erinnerung waren und wo die Klezmatics dichteten, da sind die NOKAS pure Disco. Jener Aspekt der Tradition, der hier im Vordergrund steht, ist nämlich die Manie. Ohne jiddischen Gesang, ausschließlich mit Eigenkompositionen, erfinden die sechs Musiker den Sound des Shtetl neu, allerdings im kulturellen Kontext einer Stadt, die zu 60 Prozent von Afroamerikanern bewohnt wird.
Der Einfluss von Mardi Gras und Bourbon Street bringt sie dabei der Tradition, den manischen Hochzeitstänzen, ebenso näher wie er sie transformiert. Dass Willie Green, der Schlagzeuger der Neville Brothers, als Gastmusiker auf ihrem letzten Album Fresh out the past mitspielt, ist da nur folgerichtig. Und weil die NOKAS Stücke mit Namen wie „An aging raver's personal hell“ komponieren, die sie mit einer Geschwindigkeit und Dynamik vortragen, die selbst Fanfare Ciocarlia verblüffen dürfte, ist ihnen zu wünschen, dass sie sich in Deutschland nicht mit World-Music-Exotisten und Bibelkreis-Philosemiten als Publikum zufrieden geben müssen. Georg Felix Harsch
heute, 21 Uhr, Fabrik
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