: Kein Segen für den Papst in Indien?
Radikale Hindus drohen mit Protesten. Auch das Regierungslager sieht das Oberhaupt aller Missionare nicht gern. Die Rolle der Kirche zwischen Bekehrung und Sozialarbeit ■ Aus Delhi Bernard Imhasly
Startet der Papst einen neuen Kreuzzug? Wer in den letzten Wochen die Pamphlete, Pressemitteilungen und E-Mails radikaler Hindu-Organisationen gelesen hat, muss dies annehmen. Der Anlass ist der bevorstehende Besuch von Papst Johannes Paul II. in der indischen Hauptstadt, wo er am 6. und 7. November an der Schlusssitzung der Synodalkonferenz der Bischöfe Asiens teilnehmen wird. Im Gegensatz zu seiner ersten Indien-Reise im Jahr 1986, als er vierzehn Orte besuchte, beschränkt sich das Programm dieses Mal auf Delhi, und auch hier gibt es nur einen einzigen großen Auftritt: Johannes Paul II. liest eine Messe in einem Sportstadion.
Dennoch ist der Papstbesuch stark umstritten. Proteste kommen aus vielen Teilen des Landes, aus Goa hat sich gar ein Demonstrationszug in Bewegung gesetzt, der am Tag vor der Ankunft des Papstes in Delhi eintreffen will.
Tief sitzende Ängste vor einer Christianisierung
Es handelt sich um Organisationen aus dem Umkreis des „Nationalen Freiwilligenverbands“ RSS, einer Art ideologischer Mutterorganisation der vielen hindunationalistischen Gruppierungen, die sich dem Kampf gegen die westliche Aufweichung der Hindu-Kultur verschworen haben. Allerdings gehört auch die Regierungspartei dem RSS an. Die militanten Papst-Gegner fordern, das Oberhaupt der katholischen Kirche solle sich für die Gräueltaten der Inquisition und für Zwangsbekehrungen entschuldigen und vernehmlich erklären, dass das Christentum nicht der einzige Heilsweg sei. Darin kommt eine tief sitzende Angst vor einer Christianisierung Indiens zum Ausdruck, die etwa auch zu der bizarren Behauptung geführt hat, die Papst-Reise sei genau für den Zeitpunkt geplant gewesen, an dem die Ex-Italienerin Sonia Gandhi das Amt als Premierministerin übernehmen werde – als Auftakt nicht nur für das Jubeljahr 2000, sondern auch für eine neue große Bekehrungswelle.
Die Kirchen wenden ein, Bekehrungen seien ein privater Akt, auf den sie keinen Einfluss nähmen. Dies entspricht allerdings nicht ganz der Wahrheit, gibt es doch eine Reihe von „Evangelisten“, namentlich aus den USA, die mit teilweise aggressiven Methoden auf Seelenfang gehen. Doch was die etablierten Kirchen angeht, hat die koloniale Bekehrungswut längst dem Engagement in Sozialdiensten Platz gemacht. Zudem macht die Zahl der Anhänger des Christentums in Indien nur 2,4 Prozent der Bevölkerung aus, Tendenz abnehmend. Alan de Lastic, der Erbischof von Delhi, weist auch darauf hin, dass der Anspruch der alleinseligmachenden Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr gilt und dass es gerade ein Ziel der kommenden Bischofssynode sei, den Dialog zwischen den Religionen zu vertiefen. All dies ficht den RSS und seine Mitstreiter nicht an. Nach der Kampagne gegen die Arbeit christlicher Missionare in Stammesgebieten im letzten Frühjahr, die von Gewalttaten begleitet war, haben sie den bevorstehenden Besuch wieder zum Anlass für Störungen christlicher Gebetstreffen im Land genommen – ihnen gelten solche Veranstaltungen als verkappte Versuche der Massenbekehrung.
Trotz ihrer Lautstärke beschränken sich die Proteste auf kleine Randgruppen aus der städtischen Mittelschicht. Deren Ängste werden von der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt. Auch die von der hinduistischen Volkspartei BJP angeführte Regierung tut das ihre, um den Papst gebührend zu empfangen. Sie wird ihn nicht nur als religiösen Führer begrüßen, er erhält auch die protokollarischen Ehren eines Staatsoberhaupts.
Dennoch fällt auf, dass sich die Regierung bisher nicht vor die kleine christliche Minderheit gestellt hat. Dieses Schweigen ebenso wie die sich abzeichnende Kulturpolitik der neuen Regierung haben in liberalen Kreisen die Befürchtung verstärkt, dass sich hinter dem pragmatischen Programm der BJP die alte intolerante Agenda einer Hinduisierung der Gesellschaft verbirgt.
Die Kastengesellschaft will keine Sozialreform
Die Regierung tut das ihre, um im Stillen gegen christliche Organisationen vorzugehen. Das Innenministerium, das vom BJP- Strategen L.K. Advani geleitet wird, hat begonnen, kirchlich geführten Sozialorganisationen das Recht streitig zu machen, vom Ausland finanziell unterstützt zu werden. Die Tätigkeit dieser Nichtregierungsorganisationen, die sich vor allem für Arme, Frauen, Ureinwohner und Landlose einsetzen, wird als politisch eingestuft, was nach dem Gesetz über Auslandsgelder eine Unterstützung ausschließt. Für die Kirchen ist dies der Beweis, dass hinter der Kampagne gegen Bekehrungen die Angst steckt, die sozialreformerische Tätigkeit der Missionare bedrohe die Kastengesellschaft mit ihren rigiden sozialen Ungleichheiten. Ein Indiz dafür sind ähnliche Maßnahmen des Innenministers gegen unabhängige Organisationen, die sich zwar auf bestimmte Sachbereiche spezialisieren wie z. B. Gewalt gegen Frauen, Gesundheit, Schuldknechtschaft, ihre Arbeit jedoch als im weitesten Sinn politisch begreifen.
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