: Lindenbergs Déjà-vu
■ Nach einem seltsamen Hickhack darf Udo nun doch zum 9. 11. am Brandenburger Tor singen
Das Leben ist wirklich ungerecht. Da hat Udo Lindenberg mit Liedern wie „Mädchen aus Ost-Berlin“ und „Rock-'n'-Roll-Arena in Jena“ den Mauerfall quasi herbeigesungen, und dann soll des Kanzlers Lieblingsband am 9. November am Brandenburger Tor die Lorbeeren einheimsen.
Wie zu alten DDR-Zeiten steht auf der einen Seite „der kleine Udo aus dem Westen“ und auf der anderen Seite ein böser Regierungsvertreter aus dem Osten. War Udos Gegner damals der „Oberindianer“ Honecker, hat er es jetzt mit einer Apothekerin aus Dresden zu tun, die es bis zur Bundesfamilienministerin gebracht hat: Christine Bergmann (SPD). Deren Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend koordiniert das zehnjährige Mauerbrimborium. Als der junggebliebene Senior diesem hehren Haus mitteilte, dass er am 9. November seine Berlin-Hymne 2000 am Brandenburger Tor singen möchte, bezog man dort erst mal gar keine Stellung, sondern bat den Musiker „um etwas Geduld“. Neun Tage musste sich Lindenberg gedulden, um zu erfahren, dass der „Programmausschuss aus Vertretern der Bundesregierung und des Berliner Senats“ entschieden habe, die Bühne am Brandenburger Tor „für eine andere bekannte Gruppe“ zur Verfügung zu stellen. Der Musiker wurde um Verständnis gebeten, dass der 9. November „nicht als der geeignete Zeitpunkt“ für die Welturaufführung seiner Hymne betrachtet werde. Lindenberg sollte allen Ernstes den „Scorpions“ mit ihrem „Wind of Change“ Platz machen!
Logischerweise verstand der Pankower Zugführer die Welt nicht mehr. „So traurig war ich schon lange nicht mehr“, gestand er gestern auf einer Pressekonferenz in der Volksbühne. Denn bereits Anfang September hatte ihm die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters versichert, dass sein Aufritt „der Höhepunkt des Abends“ sein werde.
Ob Eberhard Diepgen (CDU) seiner ehemaligen Stellvertreterin ins Handwerk pfuschen wollte oder alte Seilschaften am Werke waren, wird wohl nicht mehr zu klären sein. Auf jeden Fall ist gestern nachmittag Christine Bergmann zur Besinnung gekommen und hat Lindenberg und seiner Berlin-Hymne ihr Okay gegeben. Nicht nur das. Er darf das Fest am Brandenburger Tor sogar eröffnen! Bekam Honecker damals eine Lederjacke geschenkt, bedankte sich Lindenberg auf der Pressekonferenz mit einem goldenen Lenkrad bei Christine Bergmann. „Weil die Ministerin eingelenkt hat“, wie er sagte. Weil Lindenberg nicht nachtragend ist, gestand er ihr zu, „dass so eine Ministerin vielleicht viel am Kopf hat und gelegentlich nicht weiß, wo sie wohnt zwischen Hildesheim und Alzheim“.
Dann spielte er zusammen mit dem Babelsberger Filmorchester seine „Seid willkommen“-Hymne, die gesungen irgendwie richtig klasse ist. Außerdem wartete er mit interessanten historischen Details auf. Er bestätigte, dass es das „Mädchen aus Ost-Berlin“ wirklich gibt. „Das ist die Ines, die treffe ich nachher, und die hat auch ein Kind“, nuschelte er. Die „Vaterschaftsangelegenheit“ sei noch nicht geklärt, fügte er hinzu. Doch vielleicht kann ihm ja die Familienministerin weiterhelfen. B. Bollwahn de Paez Casanova
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