: Marke bürgerlich
Ein Ausstellung im Schauspielhaus reflektiert über dessen architektonische Geschichte ■ Von Britta Peters
St. Georg im Jahr 1900: Es gibt weder Bahnhof noch Bieberhaus. Dafür hat man freien Blick vom Museum für Kunst und Gewerbe auf die Kunsthalle, beide Teile der alten Wallanlagen. Dort, wo wenige Jahre später der Hauptbahnhof entsteht, liegen derzeit noch die Gebeine der Jakobi- und der St.-Georg-Gemeinde. Und gegenüber wird kräftig gebaut. Am 15. September 1900 ist es dann soweit: Alfred von Berger eröffnet mit Iphigenie auf Tauris die erste Spielzeit im Deutschen Schauspielhaus.
Mittlerweile zählt man die hundertste Saison, und das Haus feiert Jubiläum. Gleichzeitig bereitet das Team um den Intendanten Frank Baumbauer dessen Abschied vor. Und bezieht damit ein letztes Mal Position: Noch nie standen so viele Uraufführungen auf dem Spielplan, und statt der bei Jahrhundertfeiern üblichen Selbstbeweihräucherung lädt man zu Reflexionen über „die Geschichte des Hauses, die Gegenwart des Theaters und die Zukunft des Lebens“.
Einen spannenden, wenngleich recht knapp formulierten Beitrag dazu liefert die vom Hamburger Zentrum für Theaterforschung gemeinsam mit der Hochschule für bildende Künste konzipierte Ausstellung Das Haus ein Zeichen. Bei der im ersten und zweiten Rang gezeigten Dokumentation geht es um mehr als nur die Architektur des Hauses selbst – auch wenn es an zentraler Stelle liebevoll rekonstruierte Originalpläne und ein Schnittmodell im Maßstab 1:40 zu bewundern gibt. Eine Gegenüberstellung mit anderen, zeitgleich entstandenen Theaterbauten untersucht die Hamburger Bühne in ihrem historischen Kontext, während sich anhand von drei Umgebungsmodellen für die Jahre 1900, 1920 und 2000 nachvollziehen lässt, wie sich die Gegend um das Theater im letzten Jahrhundert verändert hat.
Das Schauspielhaus ist ein Fellner-&-Helmer-Bau. Das sagt einem heute vielleicht nichts, vor hundert Jahren war der Name jedoch ein Markenzeichen. Das Wiener Architektenduo Ferdinand Fellner und Hermann Helmer baute in der Zeit um die Jahrhundertwende insgesamt 47 Theater in ganz Europa, deren Erscheinungsbild nur wenig variiert. Das Hamburger Schauspielhaus wurde bei den Bühnenprofis nach dem Vorbild des Deutschen Volkstheaters in Wien bestellt und nahezu identisch ausgeführt.
Dass es damals auch mutigere Entwürfe gab, zeigt der Vergleich mit den Bauten anderer Architekten. Zum Beispiel das 1900/01 entstandene Prinzregententheater in München: Hier entschied sich Architekt Max Littmann für eine amphitheatralische Anordnung der Sitzplätze und damit gegen das Klassenunterschiede betonende Logenprinzip. Auf diese Weise schuf er gemäß der Forderung nach Egalité eine architektonisch adäquate Form. Und die schlichte Architektur von Oskar Kaufmanns ein gutes Jahrzehnt später entstandener Freien Volksbühne in Berlin verweigert sich dem Wunsch nach Illusionismus und Repräsentation gänzlich – bürgerliche Ansprüche an die Kunst, die in Hamburg durch pompöse Fassaden und Rokoko-Innenausstattung bestens bedient werden.
Von der vielen Arbeit, die die Studenten des Modellbau-Projektes von Prof. Rosenbusch am Lerchenfeld in die Präsentation eingebracht haben, bleibt der Löwenanteil unsichtbar. Die aufwendigen Recherchen und Diskussionen um die Gestalt der drei Umgebungsmodelle findet man in der Ausstellungssituation zu kleinen MDF-Klötzchen verdichtet, die wie selbstverständlich da stehen. Die Modelle sind, was Lage und Höhe der Häuser angeht, maßstabsgetreu rekonstruiert – alles andere wurde der besseren Lesbarkeit wegen grob vereinfacht. So bleiben vom Museum für Kunst und Gewerbe nur noch zwei Innenhöfe übrig, das Schauspielhaus erkennt man an den drei verschiedenen Dächern.
Diese Art der Darstellung erfordert Einfühlungsvermögen und vor allem Zeit. Wer sich die nimmt, kann vieles entdecken: wie die Innenstadt wächst, wie sich die Höhenunterschiede des Gebiets durch den Bau des Hauptbahnhofes immer mehr eingeebnet haben oder wie nach 1920 ein öffentliches Badehaus und eine große Turnhalle verschwinden. Auffällig ist auch der in den 80er Jahren entstandene große Erweiterungsbau für Verwaltung und Technik des Schauspielhauses – ein Zeichen dafür, wie sich die Institution Theater im Laufe der Zeit verändert hat.
„Das Haus ein Zeichen“, Schauspielhaus, geöffnet jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn, bis 31. Dezember
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