Sex rules UK

Einarmige Banditen für den Hausgebrauch: Die britische Künstlerin Sarah Lucas zeigt ihre Vorstellungen von „Beautiness“ in einer ehemaligen Autoreparaturwerkstatt im Hinterhof des Postfuhramts  ■   Von Harald Fricke

Für Ausstellungen sind alle Orte möglich. Wenigstens in Berlin. Malerei kann man in einem ehemaligen Konsum-Markt an der Chausseestraße zeigen, im WMF treffen sich Internet-Spezis, und elektronische Kunst passt gut in den siebenten Stock des Hauses des Lehrers am Alexanderplatz. Young British artists mögen es offenbar ein bisschen rauer: Sarah Lucas jedenfalls zeigt ihre Skulpturen und Installationen in einer verlassenen Autoreparaturwerkstatt im Hinterhof des Postfuhramts in Mitte.

Dabei kommt die Werkhalle den Arbeiten der Londoner Bildhauerin sehr entgegen. Das speckige Beige der Wände, der abgewetzte Garagenboden, die alten Holzimitatverkleidungen, das alles fügt sich wunderbar in das Szenario aus Körperabgüssen, Pappcontainern und Zigarettenskulpturen, die Lucas über die Räume verteilt hat. Wie auf einem Abenteuerspielplatz findet sich das eine oder andere Objekt in irgendeinem Winkel versteckt. Ein Sarg aus Neonröhren steht unter einem dunklen Treppenaufgang und leuchtet schön blau. Vor allem aber sind es immer wieder Arme, die aus Mauervorsprüngen und Glasvitrinen oder zwischen Heizungsrohren mechanisch hervorwinken.

Mit dem Winken ist es allerdings so eine Sache. Gegrüßt wird nicht, wohl aber gewichst – im Leerlauf sozusagen. Der Arm ist angespannt, die Hand schließt sich symbolisch zu einem imaginären schwanzbreiten Zylinder; die mal von Motoren, mal mit einer Springfeder angetriebenen Auf-und-ab-Bewegungen sind explizit. Und schließlich helfen Titel wie „Wichser Schicksal“, „Wankertoo“ oder „Bigger Cheaper (and you can do it at home)“ weiter, um die Arbeiten von Lucas zu verstehen. „Den Briten geht es doch nur um Sex“, meinte noch ein Besucher, der vor lauter Onanieren gar nicht mehr die Kunst sehen konnte.

Nun hat Sex gerade bei Sarah Lucas viele Gestalten. Auf ihren Fotoporträts zeigt sie sich selbst betont androgyn und aggressiv. Schon auf der Einladungspostkarte zu „Beautiness“ wirkt Lucas wie die Doppelgängerin des Suede-Sängers Brett Anderson. Dass sie dabei mit zwei Kugeln aus kunstvoll aneinander geklebten Zigaretten jongliert, verkompliziert die Sache eher noch: Wer will, kann die Bälle als üppige Ersatzbrüste begutachten, als Hoden liegen sie aber ohne Zweifel ebenso gut in der Hand. Das Spiel mit Wünschen und Projektionen zur Geschlechteridentität bleibt am Ende Sache des Betrachters.

Nicht anders funktionieren die im Gebäude verstreuten Armskulpturen. Immerhin haben solche Körperfragmente in der Kunst Tradition: Bruce Nauman hat in den Sechzigerjahren seinen rechten Arm von den Fingerspitzen bis zum Hals abgegossen und „From Hand to Mouth“ genannt, weil er Sprachspiele liebt; und von Paul Thek gibt es Installationen, bei denen er Fleisch aus Polyester oder Kunstharz nachbildete. Selbst die Box aus Pappe, die Lucas aufgestellt hat, ist eine Anspielung, diesmal auf Marcel Duchamp. Sein „Etant Donné“ von 1967 war ein Guckkasten, bei dem man durch ein Schlüsselloch einen kopflosen nackten Frauenkörper mit gespreizten Beinen besichtigen konnte.

Mit einigem Humor stellt Lucas diese surrealistische Männerphantasie zurück auf die Füße: In ihrer Box gibt es nur einen Stuhl zu sehen und daneben die besagte Handmaschine – ein einarmiger Bandit für den Hausgebrauch eben. Damit der Spaß nicht in einer großen Verbeugung vor Body-Art und alten Männern verkümmert, hat Lucas links vom Eingang einen Büroraum zur idealen Weiblichkeit eingerichtet, wie sie sich britische Boulevardzeitungen à la Daily Mirror oder The Sun vorstellen.

„It sucks“ besteht aus einem Staubsauger, der als Modell aus Zigaretten zusammengebastelt wurde. Am Handknauf baumelt ein brauner BH, der entsprechend prall mit Marlboro-Lights ausgefüllt wird. Nur die dazugehörige Hausfrau fehlt. Vermutlich ist sie mit dem Postboten abgezogen.

Bis 1. Januar 2000 im Hof des Postfuhramts, Eingang Auguststraße 5, Mitte, Sa. 13–19 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung: 2 83 65 80