: Unbekleidet im Arbeiter- und Bauernstaat
■ Der DDR-Staatsmacht blieb nichts anderes übrig, als den Volkssport FKK hinzunehmen. Später wurde er sogar als weltoffen hergezeigt. Ein Rückblick in die textilfreie Zone
Gehste Effi oder Textil?“ Das war die entscheidende Frage, wenn man erzählte, an die Ostsee in Urlaub fahren zu wollen. Ich war privilegiert, denn ich hatte dort Verwandte und musste nicht auf einen Ferienlagerplatz warten. Manchmal waren meine Cousins allerdings im Ferienlager, und dann war ich an der Ostsee – allein. Und dann kümmerten sich Onkel und Tante um mich. Sie gingen – leider! – auch gern an den FKK. Ich wollte nie. Ich fand schon immer, dass Menschen in Klamotten meistens schöner aussehen. Später konnte ich das mit der fehlenden Erotik begründen.
Die meisten in meiner Umgebung fanden „Effi“ hingegen toll. Zum Beispiel der Gartennachbar meiner Eltern, ein Arzt. Der promenierte gerne ohne alles ganz dicht am Gartenzaun entlang.
Man sagt, in der DDR wäre FKK normal gewesen. Sicher. Aber es konnte nerven. In den Achtzigern war die Trennung eigentlich sowieso egal. Die Nudisten lagen auch im Textilbereich herum und umgekehrt. Und da gab es Dramen, in deren Verlauf die jeweilige Mehrheit die Minderheit vertreiben wollte.
In den Fünfzigerjahren war das anders. Da sorgte die Staatsmacht für Ordnung. In den großen Badeorten auf Rügen oder dem Darß wurde Jagd auf die Nacktbader gemacht. Innenminister Willi Stoph wollte 1952 das Nacktbaden verbieten. Aber da war nichts zu machen. Die meisten Nudisten, die sich „gefährlichem Sektierertum“ und „imperialistischer Dekadenz“ hingaben – wie sich Sportfunktionäre damals ausdrückten – erwiesen sich als Honoratioren wie Richter und Staatsanwälte.
Frei-Körper-Kultur wurde trotz allem ein Volkssport in der DDR und irgendwann von den sozialistischen Sittenwächtern hingenommen, später sogar hergezeigt: Beispielsweise in der Weihnachtssendung der Kuriositätenshow „Außenseiter-Spitzenreiter“ irgendwann in den Siebzigerjahren. Da standen die beiden Moderatoren am sommerlichen Ostseestrand und ließen einen Nudistenchor ein Weihnachtslied singen. Die Moderatoren waren auch im Adamskostüm, wobei der eine nur bis zur Brust gefilmt wurde und der andere vor der entscheidenden Stelle ein Tonbandgerät trug. Der gemischte Chor wurde übrigens von Kopf bis Fuß gezeigt. Vielleicht, um dem Westen zu zeigen, wie offenherzig die DDR war. Vielleicht war es aber auch eine Medizinerversammlung. Die gingen immer zum FKK. Da gehörte es zum guten Ton, wollte man nicht als verklemmt und spießig gelten.
Im Westen, so stellte sich nach der Wende heraus, wurde die FKK-Bewegung immer als Befreiungsakt gegenüber dem rigiden System angesehen, und der Ostler wunderte sich über Untersuchungen zum ostdeutschen Sexualleben, das so viel unkomplizierter gewesen sein soll. Und man will auch herausgefunden haben, dass 98 Prozent der Intellektuellen immer „ohne“ badeten. Wahrschenlich blieben die auch immer im Lande und fuhren nie ans Schwarze Meer? Da war nämlich Textilpflicht. In der DDR war dagegen noch etwas von dem Geist der Nudistenbewegung der Jahrhundertwende übriggeblieben. Und der ließ sich in den realexistierenden Sozialismus durchaus integrieren.
Ingrid Beerbaum
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