Freizeit mit Knarre und in Uniform

Knapp 600 Hobbypolizisten machen Berlin weiter unsicher: Wegen zahlreicher Skandale und massiver Kritik wurde die Freiwillige Polizeireserve zwar aufgelöst, doch unter anderem Namen und mit erweiterten Befugnissen probt die Truppe nun einen Neuanfang  ■   Von Plutonia Plarre

Im Schrittempo fährt der grünweiße VW-Bus durch die Villensiedlung im Berliner Bezirk Hellersdorf. „Polizei“ steht in großen Lettern auf der Kühlerhaube. Aber der Mann am Steuer und seine Beifahrerin, die beide eine blaue Uniform tragen, sind keine Polizisten. Sie sind Angehörige des Freiwilligen Polizeidienstes.

Diese Polizeireserve, die in Kalten-Kriegs-Zeiten gegründet wurde, hat eine skandalträchtige Vergangenheit. Jetzt probt sie unter anderem Namen und mit erweiterten Befugnissen einen Neuanfang. Dass Amateurpolizisten hoheitliche Aufgaben wahrnehmen dürfen, gibt es bislang nur in zwei Bundesländern: in Berlin und Baden-Württemberg. Bald aber will das CDU/FDP-regierte Hessen diesem Vorbild folgen.

Mit 565 aktiven Mitgliedern ist die Truppe der Berliner Hobbypolizisten zahlenmäßig zwar schwach. In ihren Hochzeiten in den 60er Jahren waren es 4.000. Dafür haben die Reservisten seit dem Frühjahr 1999 deutlich mehr Befugnisse als zuvor. Sehr zum Leidwesen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Berliner Bündnisgrünen, die schon lange fordern, dass die Truppe aufgelöst werden soll. Ihre Kritik: Die Hilfspolizisten seien purer Etikettenschwindel, mit dessen Hilfe dem Bürger Sicherheit vorgegaukelt wird. „Mit dem Einsatz schlechtausgebildeter Hilfssheriffs wird das Gewaltmonopol des Staates unterhöhlt“, meint der Vorsitzende der Berliner GdP, Eberhard Schönberg. „Wo Polizei draufsteht, muss auch Polizei drin sein“, fordert der Fraktionsvorsitzende der hiesigen Bündnisgrünen, Wolfgang Wieland.

Doch all diese Kritik ficht den verantwortlichen Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) nicht an: Der Einsatz der Freiwilligen sei unerlässlich, weil die Polizei dadurch entlastet werde, sagt Werthebach.

Der 35jährige Thomas Sch., der an diesem Nachmittag mit dem Streifenwagen durch Hellersdorf fährt, ist von Beruf Verwaltungsangestellter bei einer Rentenversicherung. Seine 20jährige Beifahrerin Christiane E. ist Rechtspflegeanwärterin. An Wochenenden und nach Dienstschluss schlüpfen die beiden in die blaue Uniform der Polizeireserve und schnallen sich die Pistole um. „Wir wollen etwas Gutes tun, weil wir uns mit unserem Staat identifizieren“, sind sie sich einig. Obwohl Thomas Sch. und Christiane E. nur eine zweiwöchige Grundausbildung und eine einwöchigen Wiederholung absolviert haben, machen sie die Arbeit der Polizei: Sie gehen Streife, schreiben Verkehrssünder auf, überwachen Gebäude und sorgen bei öffentlichen Veranstaltungen für Ordnung.

In der Vergangenheit hatten sich die Reservisten mit einfacheren Tätigkeiten bescheiden müssen. 1960 war die Feierabendtruppe als Westberliner Pendant zu den Betriebskampfgruppen der DDR gegründet worden. Die in Hundertschaften, Zügen und Gruppen gegliederte Truppe wurde fast ausschließlich für den Objektschutz eingesetzt. Ausnahmen waren polizeiliche Großeinsätze wie die Besuche des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan und des US-Außenministers Alexander Haig Anfang der 80er Jahre, die von großen Gegendemonstrationen und Straßenschlachten begleitet wurden.

Bei Reagans Besuch „wurde an Reservisten alles aufgeboten, was nicht bettlägerig war“, erinnert sich Polizeihauptkommissar Wolfgang Schult. Die Männer und Frauen seien in Zivil vor einer Bühne im Charlottenburger Schloss postiert worden, auf der Reagan eine Rede halten sollte. „Damit konnte die Sicherheit des Präsidenten gewährleistet werden, ohne dass der Eindruck entstand, es handele sich um eine reine Polizeiveranstaltung.“

Zwielichtige Personen mit einer kriminellen Vita zog die Freiwilligen Polizeireserve schon immer an. Der 1978 gefassten „Hammerbande“, die sich auf Banken und Juweliere spezialisiert hatte, sollen zwei Polizeireservisten angehört haben. Für Aufsehen sorgte auch der Fall eines rechtsextremistischen Waffenhändlers, der 1984 trotz mehrfacher Verstöße gegen das Waffenrecht in die Hilfstruppe aufgenommen wurde. Weshalb seine Straftaten beim Einstellungsverfahren nicht festgestellt worden waren, wurde nie geklärt. Nachdem 1993 12 rechtsextreme Waffenhändler festgenommen wurden, von denen 5 freiwillige Polizisten waren, wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Seine Arbeit ergab, dass jeder zwanzigste Hilfssheriff ein rechtskräftig verurteilter Straftäter war.

Spätestens nun hätte die Truppe aufgelöst werden müssen. Ein entsprechender Beschluss war bereits 1989 von der rot-grünen Berliner Landesregierung gefasst worden. Doch dann kamen die Wende und Neuwahlen und damit die Große Koalition. Die SPD, die auf einem Parteitag noch für die Abschaffung der Hilfspolizisten votiert hatte, knickte gegenüber der CDU ein. Die Koalition brachte ein neue Gesetz über den Freiwilligen Polizeidienst auf den Weg, das im Mai diesen Jahres in Kraft getreten ist. Kriminelle Mitglieder und Karteileichen wurden aussortiert, die Organisationsstruktur verändert und den Freizeitsheriffs erweiterte Befugnisse beschert. GdP-Chef Schönberg war von den Sozialdemokraten so enttäuscht, dass er aus der Partei austrat.

Mit einer Musterklage vor dem Bundesverfassungsgericht will die GdP jetzt gegen die Amateurpolizisten zu Felde ziehen und gleichzeitig gegen privaten Sicherheitsunternehmen vorgehen, die immer mehr auf den Markt drängen. „Das staatliche Gewaltmonopol wird Scheibchen für Scheibchen aufgelöst“, klagt der Rechtssekretär der Berliner GdP, Joachim Tetzner. „Sicherheit darf keine Ware werden, die sich der einzelne Bürger je nach Größe seines Portemonnees kaufen kann“, sagt er. „Sicherheit ist eine Dienstleitung des Staates, auf die jeder Steuerzahler Anspruch hat.“

Der im Berliner Polizeipräsidium für die Hilfssheriffs ständige Polizeihauptkommissar Gerd Böse sieht das anders: „Für viele Dinge, die der Bürger von der Polizei verlangt, haben die Berufspolizisten doch überhaupt keine Zeit mehr.“ Auch Polizeihauptkommissar Wolfgang Schult möchte die Freiwilligen angesichts „der dünnen Personaldecke der Polizei“ nicht missen.

Ganz umsonst sind aber auch die Freiwilligen nicht zu haben. Pro Stunde Einsatz erhält jeder von ihnen 8 Mark Aufwandsentschädigung. Dass sich der Einsatz trotzdem lohnt, hat Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) vorgerechnet: Die Reservisten kosten, so Böse, im Jahr rund 4 Millionen Mark und erbringen dafür rund 130.000 Dienststunden. Würde die gleiche Tätigkeit von Wachleuten übernommen, müssten 6,9 Millionen Mark bezahlt werden. Zudem brächten die von Reservisten aufgenommenen Anzeigen und Verwarnungen keinen unerheblichen Betrag ein. Allein 1997 hätten sie 129.598 Knöllchen geschrieben. „Geht man durchschnittlich von 20 Mark für eine geahndete Ordnungwidrigkeit aus“, so Böses Rechnung, „ergibt sich für 1997 eine Einnahme von rund 2,6 Millionen Mark“.

GdP-Chef Schönberg hält diese Angaben für geschönt. Er spricht von deutlich über 5 Millionen Mark Kosten pro Jahr. „Würde der Freiwillige Polizeidienst abgeschafft, könnten 100 Polizeiangestellte eingestellt werden.“

Der Vorsitzende der GdP-Landesgruppe Baden-Württemberg, Rüdiger May, schimpft: „Man benutzt die Freiwilligen, um die Haushaltskasse zu sanieren.“ May beklagt die Tendenz, dass es den Städten und Gemeinden zunehmend darum gehe, den Bürger wegen Verkehrsvergehen „abzuzocken“. Mit solchen Methoden werde der „Hass auf die Polizei geschürt“. Ein besseres Verhältnis zwischen Polizei und Bürger kann seiner Meinung nach nur durch ein persönliches, belehrendes Gespräch entstehen, bei dem der Polizist auch mal ein Auge zudrücke.

Der Fahrer des Hellersdorfer Streifenwagens, Thomas Sch., ist schon seit 14 Jahren bei den Freiwilligen. Seine Kollegin Christiane E. kam erst vor einem Jahr dazu. Beide betonen, dass es ihnen nicht ums Polizeispielen sondern um den Dienst am Bürger geht. „Wenn wir auftauchen, fühlen sich die Mitmenschen sicherer“, meint Christina E. Die junge Frau macht keinen Hehl daraus, dass sie am liebsten Polizistin geworden wäre, weil ihr die Arbeit so gefällt. „Ich habe mich beworben. Aber ich bin durchgefallen, weil ich den Unterfelgschwung am Barren nicht geschafft habe.“