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Eine globalisierte Welt braucht Regeln

■  Interview mit dem französischen Linkssozialisten Jean Luc Mélenchon zur Tagung der Sozialistischen Internationale, die heute in Paris beginnt. Das Schröder/Blair-Papier nennt Mélenchon einen extrem aggressiven Akt, der schon gescheitert sei

taz: Sie stehen vor dem ersten Kongress der Sozialistischen Internationale nach dem Blair/Schröder-Manifest. Werden jetzt die Fetzen fliegen?

Jean-Luc Mélenchon: Bei der Sozialistischen Internationale gibt es statt konfrontativer Debatten eher eine Tradition der politischen Synthese. So betrachtet ist das Vorgehen von Blair und Schröder umso spektakulärer. Sie ergriffen ihre Initiative mitten im Europawahlkampf und platzierten sich damit in Widerspruch zu einem Text, der gerade von sämtlichen sozialistischen Parteien Europas in Mailand verabschiedet worden war. Was schon für sich genommen ein extremer Akt war, den wir als aggressiv empfunden haben. Sie erzwangen überdies eine Diskussion, indem sie diesen Text auf den Tisch der SI legten.

Schröder und Blair haben also für Klärung gesorgt?

Die SI war gezwungen, der Debatte auf den Grund zu gehen. Das ging bis in die einzelnen sozialistischen Parteien hinein, die überall schon eine Debatte zwischen linken und rechten Flügeln hatten. Auch die wurde durch das Blair-Schröder-Papier zugespitzt. Jetzt beginnen die Linken in den Sozialistischen Parteien der Welt, stärker zusammenzuarbeiten. Wir von der „Gauche Socialiste“ führen Diskussionen mit dem „Frankfurter Kreis“ der SPD, um einen europäischen Club, die „République Sociale Européenne“, zu gründen, an dem auch Spanier, Italiener, Belgier und Engländer interessiert sind.

Welche Auswirkungen wird das auf den SI-Kongress haben?

Die SI ist auf die Diskussion über den Blair/Schröder-Text und den Text der französischen PS andererseits, der unter Führung von Premierminister Jospin und Parteichef Hollande entstanden ist, konzentriert. Die sozialistischen Linken vieler Länder hoffen, dass am Ende des Pariser Kongresses eine Erklärung herauskommt, die näher an den Standpunkten von Jospin und Hollande ist, als an dem Blair/Schröder-Text.

Was sind die wichtigsten Unterschiede?

Blair und Schröder machen aus der Flexibilität und aus dem Markt eine Finalität sozialistischer Aktion. Für uns ist die Flexibilität eine wirtschaftliche Realität, die überall die sozialen Errungenschaften gefährdet und die Not vergrößert. Das ist kein Wert der sozialistischen Bewegung. Zweitens glauben wir an das Prinzip der Gleichheit. Der Staat soll sich nicht darauf beschränken, Schiedsrichter zwischen Partikularinteressen zu spielen. Wir kämpfen nicht für eine Politik, die soziale Ghettos institutionalisiert. Drittens halten wir an der staatlichen Intervention in der Wirtschaft fest. Im Übrigen betreiben die Liberalen selbst auch Interventionen, indem sie Gesetze und Regeln aufstellen, deren Hauptziel es ist, die Intervention des Staates in die Wirtschaft zu verhindern, und indem sie diese Regeln unter anderem bei einflussreichen Organismen wie dem IWF, der Weltbank und heute auch bei der WHO absichern.

In welchen Bereichen wollen Sie die staatliche Intervention beibehalten?

Wir sind gegen die Deregulierung des Öffentlichen Dienstes. Zum Beispiel bei der Energie – bei der Elektrizität und dem Gas. Wie waren auch nie für die Privatisierung der Eisenbahnen, die Blair noch bis vor Kurzem völlig zufrieden stellend fand, und wo man jetzt feststellt, was für ein Desaster es ist, wenn der Staat sich aus einem derartigen öffentlichen Dienst zurückzieht.

Bei so vielen Unterschieden, was bleibt da an Gemeinsamkeiten in der SI?

Vor einigen Monaten schlug Herr Blair bei einem Treffen mit unter anderem Herrn Clinton und Herrn Prodi vor, die SI aufzulösen. Stattdessen wollte er einen „dritten Weg“, in dem sich die sozialistischen Parteien, die das wünschten, mit den Demokraten aus den USA zusammenfinden könnten. Man sollte eher Herrn Blair und vielleicht auch Herrn Schröder fragen, welche Werte sie mit der internationalen sozialistischen Bewegung gemeinsam haben.

Steht eine Auflösung der SI zur Debatte?

Nein. Der „dritte Weg“ ist bereits an den Wählern gescheitert. Nicht nur wegen der erbärmlichen Resultate aller Parteien, deren Führung auf der Linie des „dritten Wegs“ liegt. Sondern auch wegen der extrem niedrigen Wahlbeteiligung in den Arbeitervierteln, wo das traditionelle Milieu der sozialistischen Bewegung ist. Bei 12 Prozent Wahlbeteiligung in Liverpool sollte sich Herr Blair ernste Fragen stellen, bevor er andere soziale Klassen an sich zieht.

Woher kommt es, dass jetzt, wo Sie in den meisten europäischen Ländern an der Macht beteiligt sind, ein derartiger Dissens unter Ihren Parteien herrscht?

Die sozialistischen Parteien in den Regierungen sind mit einem „nouvel age du capitalisme“ konfrontiert, wie es in dem PS-Dokument für diesen Kongress heißt. Die Frage ist, was die sozialistische Bewegung tun muss. Das „nouvel age du capitalisme“ begleiten, es einrahmen und reformieren, oder in gewissen Punkten mit ihm brechen? Herr Blair hält die Globalisierung für einen glücklichen Prozess. Wir sind der Ansicht, dass es keine glückliche Globalisierung gibt. In der Welt schreiten nicht Wohlstand und Reichtum voran, sondern Armut und Elend. Und es gibt nicht etwa eine wachsende Beherrschung der Natur, sondern zunehmende Zerstörung. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Je globalisierter die Welt ist, desto mehr Regeln braucht sie.

Interview: Dorothea Hahn

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