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Undankbares Volk – zehn Jahre Mauerfall, na und?

■  Drei taz-RedakteurInnen ziehen ihre persönliche Bilanz. Die erste zog vom Osten in den Westen. Der zweite wählte den umgekehrten Weg. Die dritte blieb im Kreuzberger Milieu hängen. Eines eint sie: Jeder von ihnen ist nach seiner eigenen Fasson selig geworden

Nein, Dankesworte kommen mir nicht über die Lippen. Ich empfand den Mauerfall als etwas, was mir zustand nach 25 Jahren in der DDR. Seitdem hat sich nicht viel verändert. Einziger Unterschied: Seit zehn Jahren habe ich Zentralheizung, fließend warmes Wasser, Telefon und einen roten Pass.

Ansonsten mache ich seit zehn Jahren, was in der DDR schon teilweise möglich war, ganz und gar: was ich will. Kein Schwein kümmert sich darum, was ich mit meiner grenzenlosen Freiheit anfange. Dafür bin ich dankbar, für nichs anderes.

Hüben wie drüben brauchte man eine gewisse Portion Dreistigkeit, um zum Ziel zu kommen. Was im Osten fast als Landesverrat galt – einen Schwangerschaftsschein fälschen, beispielsweise, um den von der Uni vermittelten Job nicht antreten zu müssen – nennt sich im Westen nur anders: Cleverness. Selbstbewusstsein musste ich zum Glück nicht mühsam erlernen.

So glaubte ich auch, nach der Ausbildung zu einer sozialistischen Persönlichkeit und dem Universitätsstudium im Sächsischen genug durchgemacht zu haben, um anfangs Arbeitslosengeld beziehen zu können. Weil man sich nicht wochenlang mit Haribo-Bärchen vollstopfen kann, jobbte ich nebenbei als Dolmetscherin und Übersetzerin. Glücklicherweise ignorierte ich damals das Verbot des Unirektors und traf mich mit feindlichen ausländischen Studenten zum Sprachaustausch. Keiner hat gemerkt, dass ich nie zuvor in einem Spanisch sprechenden Land gewesen war.

Auch für den Job als Reisebegleiterin für Billig-Busfahrten für Ostler zur Reeperbahn war es egal, ob ich schon mal in Hamburg war oder nicht. Einmal stand ich sogar bei Schering an einem Pillen-Fließband, ohne dass ich jemals in meinen Leben auch nur Kopfschmerzen hatte. Egal, wie beschissen die Jobs waren – sie waren klasse, weil ich sie mir ausgesucht hatte und nicht im „Rahmen der sozialistischen Arbeitshilfe“ eingesetzt war.

Beim Schreiben war es ähnlich: Erste Erfahrungen machte ich als Autorin erotischer Kurzgeschichten. Nicht, dass der Osten nicht erregend war, es haperte eher am Schreibpapier. Nur leider saß ich einem windigen Verleger auf, der versuchte meine Geschichten dem Playboy zu verkaufen. Der nahm sie letztendlich auch nicht, und nach einem Intermezzo als Sekretärin beim Tagesspiegel landete ich vor acht Jahren bei der taz. Dort bin ich außer Redakteurin etwas geworden, wovon ich vorher einen Horror hatte: Genosse. B. Bollwahn de Paez Casanova

Meine persönliche Wendebilanz darf nicht ohne ein Bekenntnis beginnen. Einen Tag nach dem Mauerfall verteilte ich mit einigen politischen Freunden Flugblätter. Es sei nicht alles Gold, was im Westen glänzt, belehrten wir die Ostler und fühlten uns dabei ziemlich aufklärerisch. Dabei war diese Aktion, im Nachhinein betrachtet, Ausdruck peinlicher Ignoranz. Bis zum Mauerfall hatte ich keinen Menschen aus der DDR näher kennen gelernt, obwohl ich seit 1983 in Westberlin lebte und mehrmals im Jahr nach Ostberlin fuhr. Kurze Zeit später lebte ich in jener DDR. Noch vor der Währungsunion bin ich nach Friedrichshain gezogen und konnte beobachten, wie sich Muster zeigten, mit denen Westler im Osten agierten, insbesondere Hausbesetzer. Während die einen die Ossis politisch bekehren wollten (oder sie nach dem 3. Oktober 1990 als „Puffer“ zwischen sich und der Westberliner Polizei instrumentalisierten), versuchten einige wenige, offen zu sein für die Menschen, die sie in diesem fremden Teil der Stadt vorfanden. „Ihr seid im Ausland, also bewegt euch dort auch so, wie ihr euch in Italien bewegen würdet“, sagte mir ein Freund. Heute, zehn Jahre später, kann ich sagen, dass der Mauerfall mein Leben verändert hat. Ein Großteil meiner Freunde kommt aus dem Osten. Oft streite ich mich mit ihnen mehr als ich im Westen je gestritten habe. Und oft sage ich: „Auch wir hatten unsere Geschichte. Auch Ihr müsst offen sein“. Trotz des Streits oder gerade deshalb bleiben sie Freunde. Durch sie habe ich einen anderen Blick auf die Dinge kennengelernt, einen unverstellteren, einen weniger geradlinigen, einen weiblicheren, sozialeren. Viele Freundschaften meiner ostdeutschen Freundin zum Beispiel dauern schon 20 Jahre, erneuert über die all die Jahre und die Konflikte. Um wieviel kürzer ist die Halbwertzeit sozialer Beziehungen dagegen im Westen? Wenn in diesen Tagen wieder von den Mauern die Rede ist, die größer geworden sind, fühle ich zweierlei: Einerseits kann ich das sehr gut nachvollziehen. Zweitens fühle ich mich gerade deshalb, oft hilflos, zwischen den Stühlen sitzend. Weil ich eine Seite kenne und die zweite kennengelernt habe, würde ich am liebsten beiden zurufen: Hört Euch zu! Aber meistens lasse ich das. Schließlich muss jeder diese Erfahrung selber machen. Und muss bereit dazu sein. Das ist in einer Beziehung nicht anders als im Zusammenleben zwischen Ost und West. Uwe Rada

Mal ehrlich, wie hat der Mauerfall Dein Leben verändert? Gar nicht, schießt mir in den Kopf. Gar nicht? Kann nicht sein. Schließlich bin ich eine politisch bewusste Frau, die den Mauerfall - ein Ereignis, das die Welt bewegte - in Berlin miterlebt hat. Und in den vergangenen zehn Jahren ist verdammt viel passiert. Auch in meinem Leben.

Doch ich bin in vielem wohl eine Westdeutsche in Westberlin geblieben, die sich in Kreuzberg noch immer am wohlsten fühlt. Ich wohne und arbeite im Westteil der Stadt und das gilt auch für die Leute, die mir am liebsten und ebenfalls alles Wessis sind. Auch jüngst, als wir unsere Neuköllner WG nach vielen Jahren auflösten, war schnell klar: die neue Wohnung soll wieder im Westen, in Kreuzberg oder Schöneberg, sein. Im Osten kenne ich schließlich kaum jemanden.

Natürlich gehe ich in Prenzlauer Berg und in Mitte aus, kaufe am Alex ein, fahre am Wochenende mal ins Umland oder an die Seen in Mecklenburg. Das ist nett, aber wirklich wichtig ist es nicht. Und: Ich habe Zweifel daran, dass mein Leben ohne Mauerfall wirklich anders verlaufen wäre.

Vermutlich hätte ich auch dann Frauen- und Antirassistische Politik gemacht, den Mann getroffen, den jetzt liebe, wäre bei der taz gelandet - und meine engsten Freundinnen hatten damals längst ihren Platz in meinem Leben. Nur die Ausbildung an der Journalistenschule hätte wohl in München und nicht in Berlin stattgefunden - und nach Bayern wollte ich nie. Doch gefehlt hätte mir nichts.

Dennoch: Der Mauerfall hat mich überrollt. Ich war erst zwei Monate zuvor nach Berlin gezogen. Kurz zuvor hatte ich bei einem Aufenthalt an einer US-Uni in einem Politikseminar noch vollmundig erklärt, die Wiedervereinigung sei überhaupt kein Thema in der BRD. Als ich den Mauerfall im Fernsehen sah, konnte ich mit dem Freudentaumel nicht anfangen. Hinzugehen widerstrebte mir - ich fand es reaktionär -, bis eine Freundin aus Hamburg überstürzt anreiste und mich hinschleppte.

Natürlich hat sich vieles verändert seitdem: in Berlin, der Bundesrepublik und weltweit. Mein politisches Denken hat das stark beeinflusst, meinen Alltag dagegen nicht. Sabine am Orde

Fotos: Privat, Ditsch, Schoelzel

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