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Die Internationale – eine Herzenssache

Bei der Tagung der SI in der französischen Hauptstadt überwiegen zahlenmäßig die Parteien aus der Dritten Welt. Doch das politische Sagen haben die in Europa regierenden Sozialdemokraten  ■   Aus Paris Dorothea Hahn

Das CNIT ist ein halbrundes Gebäude aus Glas und Beton, mit vornehmen Läden und Kettenrestaurants im vorderen und einem Kongresszentrum im hinteren Teil. In diesen futuristischen Bau des im extremen Westen gelegenen Geschäftsviertels la Défense, wo nichts an das pulsierende Leben in den Pariser Straßen erinnert, wo keine störenden Demonstrationen zu befürchten sind und wo es den Ordnern leicht fällt, die Dutzenden von teilnehmenden Staats- und Regierungschefs gegen die Fotografen abzuschirmen, haben sich seit Montag die Sozialdemokraten und Sozialisten aus aller Welt zurückgezogen. Beim 21. Kongress seit ihrer Gründung im Jahr 1961 wollen sie erstens zeigen, dass ihre Internationale die anderen überlebt hat, und zweitens, dass sie Antworten auf die „Herausforderungen der Globalisierungen“ bietet. Sogar gemeinsame.

Am Mikrofon vor den 1.000 Teilnehmern aus 170 Parteien versucht ein afrikanischer Politiker daran zu erinnern, was die Sozialistische Internationale ausmacht. „Sie ist vor allem eine Herzenssache“, sagt der malische Premierminister Ibrahim Boubacar Keita. Dann kommt er ohne Umschweife und streng zur Sache: „Heute regieren Sozialdemokraten in 13 von 15 europäischen Ländern – von ihnen hätten wir mehr erwartet.“ Er erinnert an die jüngsten Liberalisierungen von Bananen-, Zucker- und Kakao-Preisen, die den afrikanischen Bauern das Überleben noch schwerer machen. Daran, dass außer dem Franzosen Lionel Jospin bislang kein einziger sozialdemokratischer Regierungschef aus Europa nach Afrika gekommen ist. Und daran, dass die „Kadaverhaufen“ in Afrika die Sozialdemokraten, die er „Genossen“ nennt, weniger interessieren als jene im Kosovo.

Ibrahim Boubacar Keita zitiert den marokkanischen Premierminister und den senegalesischen Staatsminister. Beide sind ebenfalls Sozialisten, beide haben vor der Versammlung ebenfalls von der Massenarmut und dem Analphabetismus und der Verschuldung ihres Kontinents gesprochen. Er beruft sich auch auf den bolivianischen Sozialistenchef Jaime Paz Zamora, der seine Genossen aufgefordert hat zu verhindern, dass aus der bevorstehenden Welthandelsrunde von Seattle keine „neue Versklavung der Dritten Welt“ werde.

Parteien aus Afrika, Asien und Lateinamerika sind auf diesem Kongress in Paris zahlreicher vertreten als je zuvor bei der Sozialistischen Internationale. Manche von ihnen als langjährige Mitglieder, andere als Anwärter auf diesen Titel. Wenn das Treffen heute zu Ende geht, wird die Internationale vermutlich knapp 30 neue Mitglieder zählen – insgesamt 150 Parteien, darunter erstmals auch der südafrikanische ANC. Doch die zentralen Themen bestimmen die Schröder, Blair, Jospin, D'Alema und Gonzalez. Die Modernität, die Datenautobahnen und die neuen Technologien. Sie sie haben ganz offenbar Europa und die USA im Sinn, wenn sie von der künftigen Welt reden. So sind auf diesem internationalen Kongress die ganz großen Länder – USA, China und Russland – allenfalls als Beobachter vertreten und spielen die vielen Mitglieder der Dritten Welt eine Statistenrolle.

Fast alle Ereignisse dieses Kongresses waren von langer Hand vorbereitet. Das gilt für die „Déclaration de Paris“, die ohne ein einzige Gegenstimme am Montagabend angenommen wird und fürderhin weltweit den „Markt“ als Voraussetzung für Demokratie nennt, ihn aber beherrschen will. Und es gilt auch für die konkurrenzlose Wahl des mit Tony Blair sympathisierenden portugiesischen Premierministers Antionio Guterres zum neuen Präsidenten der SI. Alle weiteren Fragen werden die Mächtigen dieser Internationale am 20. und 21. November an anderer Stelle besprechen. In Florenz wollen die sozialdemokratischen europäischen Regierungschefs im Beisein von Bill Clinton neue Impulse zur „Modernisierung“ geben.

In Paris müssen die Teilnehmer beim Verlassen des Kongresses an einer Leuchtschrift vorbeigehen: „Ich habe von einer anderen Welt geträumt.“ Das ist freilich kein politischer Slogan. Sondern der Name eines Geschäftes. Es verkauft hübsches Kunsthandwerk aus der Dritten Welt.

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