piwik no script img

Otto Schily auf Freundschaftsbesuch

Der Innenminister sondiert in der Türkei die Menschenrechtslage – um Abschiebungen vorzubereiten? Lagebericht des Auswärtigen Amtes stellt erstmals Menschenrechtsverletzungen fest  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Goodwill, atmosphärische Verbesserungen und eine ausdrückliche Bekräftigung der deutschen Unterstützung für das türkische Anliegen, auf dem EU-Gipfel im Dezember in Helsinki zum offziellen Beitrittskandidat gekürt zu werden – unter diesen drei Punkten wurde in der türkischen Öffentlichkeit der zweitägige Besuch des deutschen Innenministers am Montag und Dienstag in der Türkei gewertet. Otto Schily, so der allgemeine Tenor, kommt als Freund und Verbündeter.

In einem Interview mit dem türkischen Nachrichtensender NTV bestätigte Schily dann am Montagabend diese Erwartung. Er hätte sich in Gesprächen mit seinem Kollegen, Innenminister Saadettin Tantan, aber auch mit Ministerpräsident Ecevit davon überzeugt, dass die Türkei auf dem richtigen Weg sei. Schily lobte ein neues Gesetz, das Folterer härter bestraft, und beklagte lediglich, dass es mit der Umsetzung der Folterprävention doch gelegentlich noch Schwierigkeiten gibt.

Wahrscheinlich wusste Schily gar nicht, wie Recht er damit hatte. Just am Tag seiner Ankunft war ein besonders übler Fall von Folter bekannt geworden. Nach Angaben eines Anwaltes, der sich auf unabhängige medizinische Gutachten stützte, waren zwei Mandantinnen von ihm vor acht Monaten in der Hafenstadt Iskenderun brutal gefoltert worden. Die beiden jungen Frauen, 16 und 18 Jahre alt, denen die Polizei Mitgliedschaft in der kurdischen PKK vorwarf, waren unter anderem sexuell misshandelt worden. Die Aufklärung solcher Fälle wird in der Türkei immer noch dadurch erschwert, dass eine Anklage gegen Staatsangestellte nur mit Genehmigung des Gouverneurs möglich ist. Allerdings ist vor wenigen Tagen ein Gesetz durch den Rechtsausschuss des Parlaments gegangen, mit dem diese Beamtenprivilegien aufgehoben werden sollen. Nach Angaben der Tageszeitung Milliyet hat Ecevit den deutschen Innenminister deshalb auch darauf hingewiesen, dass die türkische Regierung aus eigenem Interesse, und nicht weil sie durch die EU dazu gedrängt würde, die Menschenrechtssituation verbessern will.

Während seines Fernsehauftritts wies Schily Meldungen einer deutschen Zeitung zurück, wonach es bei seinem Besuch vor allem darum gehe, die Problematik der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu erörtern. Dieses Thema würde parallel zu seinem Besuch von einer deutsch-türkischen Arbeitsgruppe in Berlin erörtert.

Die Bundesregierung möchte von der Türkei Zusicherungen haben, dass aus Deutschland abgeschobene Kurden hier nicht misshandelt, gefoltert oder gar zum Tode verurteilt werden. Bereits Schilys Vorgänger Kanther hatte mit seinem Kollegen vereinbart, dass vor Abschiebungen die türkische Seite mitteilt, ob den Betreffenden ein Verfahren erwartet oder nicht. Dieser Konsultationsmechanismus funktioniert bisher aber nur sehr unzureichend.

Wie der innenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, unterdessen mitteilte, hält der neue Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Türkei erstmals Menschenrechtsverletzungen in dem Nato-Land fest. Der Lagebericht sei „generalüberholt“ worden, so Özdemir gestern in Berlin. Früher seien die Berichte immer so geschrieben gewesen, dass es keine diplomatischen Probleme gebe, der Begriff Kurde sei gar nicht vorgekommen. Diesmal seien auch die Berichte von Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt worden.

Özdemir erwartet, dass der neue Lagebericht sich auf die Asylentscheidungen von Verwaltungsgerichten auswirken wird. Der Bericht sehe zwar keine Gruppenverfolgung von Kurden, jedoch eine individuelle Verfolgung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen