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■ Schonendes Erinnern

Eine Bombenidee zum Thema „Deutsche erinnern sich“ hatte Barbara Kremer. Die Berliner Künstlerin näherte sich einem besonderen Kapitel der deutschen Geschichte in ganz privater, aber dennoch außerordentlich wirksamer Weise.

Denn: Um den zehnten Jahrestag des Mauerfalls ins Gedächtnis zu rufen, hat sie ein Stück Mauer behäkelt. „Der Mauerschoner ist gelb-braun gestreift, seitlich geknöpft, mit zitronengelber Kappe, rosaroten Häkelrosen und Mausezähnchen-Umrandung“, lässt ihre PR-Agentur „Partner für Berlin“ farbenfroh verlauten und verbreiten. Der verhüllte Trumm wurde am Dienstag am Checkpoint Charlie, im Herzen von Berlin, aufgestellt, Codename: Aktion Mauerschoner.

Es dürfte klar sein, dass damit die deutsche Erinnerungsarbeit, schon rein stilistisch, in eine neue Ära tritt. Martin Walsers Plan von der Privatisierung des öffentlichen Gedenkens wollte nicht richtig gelingen, er war doch recht künstlich. Aber die Idee des Schoners, die ist echte deutsche Volkshandarbeit, man denke nur an Möbelschoner. Oder an die für Klopapierrollen.

Damit gedenkt man ja auch dem ganz Privaten. Nennen wir es doch einfach: „schonendes Erinnern“. Nach dieser Methode kann jetzt jeder mitmachen, Häkeln lässt sich schließlich leichter erlernen, als Walser-Reden zu schreiben. Der Streit um die Wehrmachtsausstellung? Kein Problem mehr: Die Ausstellung nicht mehr mit Hasstiraden, sondern mit Wollwerk überzogen. Das Holocaust-Mahnmal? Wir stricken ihm einen schönen großen Rollkragenpullover. „Der Mahnmalschoner ist gelb-braun gestreift ... mit rosaroten Häkelrosen und Mausezähnchen-Umrandung“...

Weil der nun ja ziemlich groß werden muss, lässt sich damit auch gleich das Arbeitslosenproblem lösen. Wir erreichen Vollbeschäftigung durch Erinnerungsarbeit – der zwote Erinnerungsarbeitsmarkt (privat) wird zum ersten Arbeitsmarkt (öffentlich) gemacht. Unser Sinnspruch sei: Gedenke die Möglichkeiten!

Jürgen Kiontke

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