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■ Auch im Internet stehen noch alte deutsch-deutsche Mauern: Ostdeutsche Bundestagsabgeordnete diskutierten mit ihren Wählern

Auf der einen Seite fünf ostdeutsche Politiker. Auf der anderen: das Volk. Dazwischen das Internet. „10 Jahre Mauerfall – sind wir ein Volk?“ überschrieb die Internetredaktion des Bundestages ihre Live-Chat-Diskussion, die gestern anderthalb Stunden lang durch die elektronischen Kanäle geisterte.

Absender: Ingrid. Frage: „Warum haben sich die Menschen im Osten nicht vehement gegen die Bevormundung des Westens gewehrt?“ Der SPDler Matthias Schubert diktiert einer Schreibkraft seine Antwort: „Die Leipziger Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 führten die Losung mit sich: 'Wir sind das Volk‘. Ende 89 veränderte sich diese Losung in 'Wir sind ein Volk‘. Ich glaube, mit dieser Veränderung war nicht nur der Wille zur deutschen Einheit zum Ausdruck gebracht, sondern auch der Wille, wie die alte Bundesrepublik werden zu wollen, ihr System zu übernehmen.“

Karsten aus Ostdeutschland fragt: „Warum gestatten wir, dass westdeutsche Politiker sich in unserem Land dick und breit machen. Haben wir keine eigenen?“ Diesmal antwortet der Thüringer PDS-Abgeordnete Gerhard Jüttemann. Leider würden die beiden großen Parteien, die abwechselnd regieren, von Westdeutschen dominiert. Aber der Wähler könne doch mehr Ostdeutsche in den Bundestag schicken. Natürlich denkt Jüttemann da an seine eigene Partei.

Der Hamburger Sascha Rasche unterhält sich mit dem bündnisgrünen Werner Schulz: „Das soll ja wohl ein Witz sein, dass es nun allen Deutschen viel, viel besser geht seit der Vereinigung. Tatsache ist, dass sich seit der Wende in meinem Portemonnaie sehr viel weniger Geld befindet als vorher. Die Steuern werden in allen Lebensbereichen erhöht, ohne dass man einen ersichtlichen Vorteil davon hat. Das einzige, was ich sehen kann, ist, dass sich die Regierung ein monumentales Denkmal in Berlin auf Kosten seines Volkes baut.“

Anderthalb Stunden dieser Ton. Themen sind die Rückständigkeit der Ostdeutschen, geringere Ost-Gehälter für die gleiche Arbeit, Jammermentalität der Ossis, Benachteiligung der PDS, der viel zu teure Regierungsumzug, 630-Mark-Jobs. Zumeist machen schon die Fragen deutlich, ob der Absender aus Ost oder West kommt. Deutschland ist im Internet vereint. Dazwischen steht die Mauer.

Spannend sind allein die Fragen, die von Menschen anderer Nationalitäten gestellt werden. Ein US-Amerikaner etwa fragt: „Kam der Mauerfall für die SPD zu früh?“ Matthias Schubert muss passen. Die Frage ist ihm zu kompliziert. Der Ungar Zoltan Karacsony schreibt: „Vor zehn Jahren waren wir, Ungarn und DDR-Bürger, noch in demselben politischen Lager. Nach zehn Jahren haben Sie einen unheimlich großen wirtschaftlichen Fortschritt erzielt, weil Sie einen reichen Onkel hatten. Trotzdem meckern die Leute in den östlichen Bundesländern ständig.“ Nick Reimer ‚/B‘Vollständige Dokumentation unter:www.bundestag.de

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