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Ein guter Grund zum Heulen

■  Löst die mediale Bilderflut des Trübsinns nicht auf: die Themenabend-Doku „Wogen der Trauer – Große Begräbnisse von John F. Kennedy bis Lady Di“ (20.45 Uhr, Arte)

Irgendwann interessiert es einen einfach nicht mehr, welcher Promi nun eigentlich auch noch gestorben ist

Ein Kasten bekommt einen Aufkleber aufs Holz gepappt. Die schlichte Box hat eine recht eigentümliche Form. Wir sagen Sarg dazu. Und der Aufkleber ist ein computerlesbarer Strichcode. Die Stimme aus dem Off referiert: „Eine Frau ist gestorben. Nach ihrem Ableben wird sie zum Objekt der fortschrittlichsten Technik, die die Menscheit zur Beseitigung ihrer Toten entwickelt hat.“

Und so hätte es ein ziemlich nachdenklicher Film sein können, wenn Gerold Hoffmann es dabei belassen hätte, dem Sarg im größten und modernsten Krematorium Europas, in Berlin-Treptow, mit Kamera und nüchternem Kommentar zu folgen. Allerdings würde dann das schwedische Fernsehspiel „Die tätowierte Witwe“, das Arte im Anschluss zeigt, heute Abend schon eine gute Stunde früher als angekündigt ausgestrahlt werden müssen.

Denn dummerweise geht es bei Hoffmanns „Wogen der Trauer“ um etwas ganz anderes als die Profanität des Gestorbenseins – und Hoffman selbst von einer grundfalschen Annahme aus. Die gut gekühlten Krematoriumssequenzen jedenfalls gliedern und konterkarieren nur einen anderthalbstündigen Bilderbogen über die „großen Begräbnisse von John F. Kennedy bis Lady Di“. Und der Film zweifelt nicht einen Augenblick, dass die großen Begräbnisse und das zum Teil weltweite Interesse Ausdruck eines Bedürfnisses sind, irgendwie besser mit dem Tod zurechtzukommen.

Es stimmt wohl, dass 2,5 Milliarden Menschen zusahen, wie im Spätsommer 1997 ein schwarzes Auto durch London fuhr, dass die Leute im Green Park und Hyde Park saßen und auf Großbildleinwände starrten, weil da eine gestorben war, die sie alle schon das eine oder andere Mal auf Fotos und im Fernsehen gesehen hatten. Und weil das alles so traurig war natürlich. Oder weil man mal einen guten Grund zum Heulen hatte usw.

Aber am vergangenen Freitag schauten sich auch über 14 Millionen Menschen den „Domino Day“ auf RTL an, jedes Jahr kommen knapp eine Million für einen Tag zur Love Parade nach Berlin, und als Goebbels im Sportpalast nachfragte, ob die Anwesenden ein Interesse am totalen Krieg hätten, war die Antwort auch kein klägliches „Nö, lieber nich ...“

Es ist die kollektive Emotion, gegen die der Mensch machtlos, ja, die er geradezu zu suchen scheint. Nur, dass es ihm womöglich egal ist, welches Gefühl gerade ansagt ist, davon wollen die „Wogen der Trauer“ nix wissen. Schließlich sind sie der Auftaktfilm eines Arte-Themenabends in Sachen Tod.

Und deshalb sehen wir vor allem einen Streifzug durchs Archiv, „Abt.: Todesfeiern des 20. Jahrhunderts“. Lady Di – Kennedy – Kennedy jr. – Elvis – Maria Callas – Johannes XXIII. –Falco – Adenauer – Bob Marley – Ghandi – Charles de Gaulle – Arafat – Walter le Grand – Leo Kirch – Claudia Schiffer – Helmut Kohl... Und irgendwann interessiert es einfach nicht mehr, welcher Promi eigentlich noch gestorben und welche Bilder die Fernsehkameras von seiner Beerdigung gemacht haben.

Selbst das beliebte Gesellschaftsspiel namens „Wo waren Sie, ... als John F. Kennedy erschossen wurde?“ kennt schließlich längst viele Variationen: „... bei der Mondlandung?“ „... als die Nato die chinesische Botschaft in Belgrad bombadierte?“ „... als die Mauer fiel?“ Und meist sagen die Antworten etwas ganz anderes, beginnen mit „Ich weiß noch genau ...“ und erzählen dann doch nur von dem Moment der Informationsvermittlung: „... und dann sagte ein Kollege/ rief meine Freundin an/ kam jemand in die Kneipe und sagte: 'Habt ihr schon gehört!‘“

Große Begräbnisse und die inzwischen dazugehörige Massentrauer sind sicherlich ein soziologisch, psychologisch, theologisch, historisch und philosophisch interessantes Phänomen von vielen. (Und insofern ist es auch ganz gut, dass die „Wogen der Trauer“ immer wieder entsprechende Experten zu Wort kommen lassen.) Eigentlich aber sind sie nur mediale, also kommerzialisierbare Großereignisse.

Und selbst der eingangs erwähnte, zwischen Hoffmanns „Wogen“ montierte Kurzfilm aus der Leichenverbrennanlage bleibt sich nicht treu: Plötzlich zeigt uns die Kamera auch in Treptow statt Särgen, Urnen und geschäftigen Männern im Blaumann Trauernde und einzelne Gesichter. Und fügt der Bilderflut des Trübsinns bloß ein paar neue hinzu.

Christoph Schultheis

Themenabend „Der letzte Gang“: „Wogen der Trauer“ (Doku, 20.45 Uhr); „Die tätowierte Witwe“ (Spielfilm, 22.15 Uhr); „Nur über meine Leiche“ (Doku, 23.55 Uhr); „Letzte Rosen“ (Kurzdoku, 0.35 Uhr)

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