: Jelzins Tisch im World Wide Web
■ Der neue Internetversand „Stylegames“ handelt und verhandelt Konzeptkunst als schlaues Marketingkonzept
Es gibt Wörter, die gibt es genau besehen nicht. Aber weil man sie braucht, gibt es sie dann doch. Zum Beispiel umlabeln oder relabeln. Umlabeln ist ein richtig gutes Wort für eine ziemlich gute Sache. Umlabeln geht in Richtung „die Welt neu definieren“, geriert sich aber offenkundig nicht ganz so großartig, sondern eher pragmatisch, funktional. Umlabeln beschreibt die Arbeit auf jenem zeitgenössischen Verschiebebahnhof kultureller Bedeutungen, Werte, Genres und Stile, der gerne mit Crossover bezeichnet wird.
Dank umlabeln kann sich zum Beispiel Konzeptkunst als E-Commerce darstellen, als elektronischer Handel im World Wide Web. Daran ist nichts falsch, besonders wenn sich das E-Commerce-Unternehmen dann „Stylegames (TM)“ nennt. Schon als Trademark kodiert Stylegames jene Inszenierungen oder Stilübungen des Alltags, die gegen die üblichen Erwartungen angehen und die Kategorien unziemlich vermischen. Stylegames ist zum Beispiel kein Sportartikelversand, obwohl der Basketball auf der minimalistisch gestalteten Homepage darauf hindeuten könnte. Dafür hilft das Internetkaufhaus ganz konkret beim Umlabeln. Will man den Helmut Lang und die No-Names gleichermaßen im eigenen Kleiderschrank loswerden – ohne gleich die Klamotten wegzuschmeißen –, dann kann man das Stylegames Metalabel gleich in zwei Größen ordern und auf oder in die Klamotten nähen. Selbstverständlich wirbt man damit für Stylegames und arbeitet damit im Sinne des Projekts, das sich dadurch definiert, dass es sich als ein neues Superlabel, neue Superstruktur etablieren möchte.
Man arbeitet dabei Seite an Seite mit jenen Kuratoren und Künstlern, die jetzt auf der Eröffnungsparty der „Children of Berlin“-Ausstellung des P.S.1. in New York mit dem Tony-Curtis-T-Shirt von Stylegames auftraten. Stylegames selbst ist Ausstellungsteilnehmer und labelt damit den E-Commerce schon wieder zur Kunst um. Dass es sich bei der Vernetzung von 32 internationalen Künstlern, Designern und Journalisten – Angela Bulloch aus London ist etwa dabei oder Martin Fengel, München, Moritz von Uslar, München, und Vogt + Weizenegger, Berlin – zum Internetversand um keine simple kommerzielle Angelegenheit handelt, merkt man, sobald man unter dem Basketball auf „Concept“ klickt, woraufhin ein ganzes Manifest zum Vorschein kommt. „Stylegames setzt Ideen um. Stylegames handelt mit Kunst, Mode, Design, Musik und Filmen im Netz. Stylegames akzeptiert Kreditkarten. Stylegames garantiert schnelle Lieferung. Stylegames macht Vergnügen.“ Ja, warum nicht, wenn es wahr ist, was versprochen wird?
Eines steht nicht ganz so explizit in der Eröffnungsdeklaration: Stylesgames ist ein work in progress. Das freilich macht es spannend. Noch immer optimiert der Berliner Netzkünstler und Webdesigner Holger Friese die Site und versucht im Konflikt zwischen ästhetisch klarer, reduzierter Oberfläche und der Zahl funktional einsichtiger Benutzerbuttons die eleganteste Lösung zu finden.
Für den Erstbesucher ist zunächst einmal die Pull-Down-Schiene empfehlenswert. Hier sind all die schönen Dinge aufgelistet, die Stylegames anbietet: Charles Eames „Hang it all“-Garderobe sowie das „Ex-Model T-Shirt“, von dessen 10.000 Exemplaren am 9. November noch 9.455 Stück zu haben waren, oder „Boris Jelzin“. Klickt man hier weiter, trifft man auf ein Foto, das den sichtlich angeschlagenen Kremlherrn mit weiteren Amtskollegen zeigt, die beim G-8-Treffen in Köln im Juni 1999 an einem großen weißen Tisch des Künstlers Matti Braun ins Gespräch vertieft sind. Der Tisch ist selbstverständlich bei Stylegames zu haben.
Ein Großteil der Produkte wird speziell für Cyberversand konzipiert, was die limitierte Auflage deutlich macht. Die Auswahl und Aufnahme der angebotenen Dinge in den Katalog geschieht gewissermaßen basisdemokratisch: Wer von den beteiligten Künstlern und Designern eine Idee für ein neues Produkt hat, stellt sie den anderen vor. Falls von denen keiner protestierend zurückmailt, gilt der Vorschlag als angenommen.
Möchte man als Netzkunde die kleine handliche „Color-Card“ von Le Corbusier oder demnächst auch das Fertighaus der Architekten Jens Hommert und Markus Schaefer aus Rem Koolhaas' „Office for Metropolitan Architecture“ erwerben, steckt man die Produkte per Mausklick in den Einkaufskorb und folgt dann dem Weg zur Kasse. Mit dem Einkaufskorb werden die allgemeinen Geschäftsbedingungen sichtbar, Umtauschrecht ist selbstverständlich. Hat man ein limitiertes „Ex-Model T-Shirt“ erworben und schaut Sekunden später noch einmal vorbei, lässt sich erkennen, dass es jetzt nur noch 9.454 Stück gibt. Besonders dieser Stückzahlzähler scheint ein großartiges Instrument der Verführung zu sein. Nur um ihn runterrattern zu sehen, möchte man gleich mal ein Dutzend Metalabels ordern.
Nicht bestellen und per Kreditkarte bezahlen kann man allerdings die Aphorismen und Gedanken, die zwischen den käuflichen Dingen auftauchen, oft in Begleitung übertrieben schöner Landschaftsaufnahmen. Da scheint dann doch der Kunstaspekt durch, auch wenn – oder gerade weil – die folgende Sentenz der Weisheit letzter Schluss nicht ist: „Was sind schon Männer gegen Felsen und Berge?“ Brigitte Werneburg
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