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Brutaler Polizeieinsatz in Belgrad

2.000 Studenten demonstrieren gegen das Regime. Die Opposition nennt den Polizeieinsatz in der Hauptstadt „Staatsterrorismus“ und fordert Neuwahlen  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Friedlich und ruhig zu leben ist ein Privileg, das die Bürger Serbiens nicht haben. So regte es niemanden besonders auf, als am Dienstag nach einigen eintönigen Wochen 2.000 Studenten in Belgrad den scheinbaren Frieden störten und demonstrierten, als die Polizei wieder einmal brutal intervenierte, als blutende, windelweich geprügelte junge Menschen durch die Straßen Belgrads liefen, das gewohnte Katz-und-Maus-Spiel mit den serbischen Polizeisondereinheiten spielten.

„Wir werden marschieren und nicht spazieren“, kündigte die Studentenorganisation „Widerstand“ an, und das taten dann auch die Hochschüler, die von den staatlichen Medien als „Handlanger der Nato“, als „ausländische Söldner“ beschimpft werden, allen voran ein halbes Dutzend junger Männer, die als Rekruten der jugoslawischen Armee im Kosovo waren, während die „Bonzen und ihre Söhne in gemütlichen Luftschutzbunkern hockten“, wie der Biologiestudent Zoran der taz sagte. „Miloševic nach Den Haag!“, dröhnte es aus 2.000 Kehlen, bis die Prügelstöcke für Stille sorgten. Die Studenten fordern sofortige Kommunal- und Parlamentswahlen und die Aufhebung der repressiven Universtitäts- und Informationsgesetze.

Die Opposition nannte den Polizeieinsatz „Staatsterrorismus“. Eine Regierung, die ihr Parlamnt derart schützen ließe, sei „nicht mehr die Regierung des Volkes“. Zwar setzte das Parlament am Dienstag einen Antrag der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO) auf die Tagesordnung, über Neuwahlen zu beraten. Wann dieser Antrag diskutiert werden soll, war allerdings auch gestern noch unklar. Debattiert wurde im Parlament jedoch darüber, die lokale Selbstverwaltung einzuschränken und der Kontrolle der Regierung zu unterstellen. Damit soll die bisher größte innenpolitische Niederlage des jugoslawischen Präsidenten, Slobodan Miloševic,wettgemacht werden, nämlich das Fiasko des Regimes bei den Kommunalwahlen 1996. Erst nach monatelangen Massendemonstrationen und internationalem Druck übergab Miloševic damals der Opposition die Macht in allen größeren Städten Serbiens.

Die Abgeordneten der SPO verließen dann demonstrativ die Parlamentssitzung, als ihr Vorschlag, eine Parlamentskommission zu bilden, um das „Attentat“ auf ihren Vorsitzenden, Vuk Draskovic, zu untersuchen, bei dem vier Funktionäre der SPO ums Leben kamen, abgelehnt wurde. „Das ist der Beweis, daß die Mehrheit im Parlament hinter dem Attentat steht und etwas verheimlichen möchte“, erklärte ihr Abgeordneter Aleksandar Cotric.

Mit dem Parlamentsboykott der SPO ist das letzte Feigenblatt der Demokratie in Serbien gefallen. Auch die „Allianz für den Wandel“ rief am Dienstag die Bürger Belgrads zu einem Protestspaziergang auf. „Die Opposition wird nicht tatenlos zuschauen, wie ihre legal gewählten Gemeinde- und Stadtverwaltungen entmachtet werden“, erkärte Vladan Batic, der Koordinator der Allianz. Miloševic wisse nur zu gut, dass die Gemeinden die Basis des Widerstands seien.

Wie der Sudentensender „Index“ meldete, hielt die Polizei in der Provinz mehrere Busse mit Anhängern der Allianz auf, die zur Demonstration in Belgrad wollten. Die immer noch täglich demonstrierenden Anhänger der Allianz geben ein trauriges Bild ab. Oft stehen an einer Bushaltestelle in Belgrad mehr Menschen, als im Protestzug der Allianz. Die Allianz will deshalb in Zukunft nur ein Mal wöchentlich demonstrieren.

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