: Verfassungsrecht auf Glück und Freiheit
Michel Camdessus, Chef des Weltwährungsfonds, nennt Gründe für seinen vorzeitigen Rücktritt. Als Nachfolger auch zwei Deutsche im Rennen. Kritik und politische Intrigen belasteten Camdessus ■ Von Maike Rademaker
Berlin (taz) – Der Direktor des Internationalen Währungsfonds, der 66-jährige Franzose Michel Camdessus, kündigte gestern in Washington seinen vorzeitigen Rücktritt an. Camdessus will den IWF im Februar verlassen, obwohl seine Amtszeit noch bis 2002 läuft. Camdessus ist seit 13 Jahren im Amt. Als Nachfolger für ihn sind mehrere Europäer im Gespräch, darunter der Deutsche Caio Koch-Weser, ehemaliger Weltbankmanager und jetziger Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, sowie Horst Köhler, Präsident der Europäischen Entwicklungsbank in London.
Für seinen Rücktritt gab Camdessus „persönliche Gründe“ an. In einem Gespräch mit der New York Times berichtete er allerdings auch von politischen Intrigen und Angriffen seitens des US-Kongresses. Diese hätten ihn beschuldigt, mit der Finanzhilfe für Russland Milliarden verschwendet zu haben.
Der Internationale Währungsfonds hat seinen Sitz in Washington, 182 Länder als Mitglieder und beschäftigt 2.700 Experten. Er gilt als Zwillingsbruder der Weltbank – wer von dieser Entwicklungsbank einen Kredit haben möchte, muss Mitglied beim IWF sein und sich dessen oft harschen Vorgaben fügen. Traditionell wird die Weltbank von einem US-Amerikaner geführt und der IWF von einem Europäer. Durch die Nähe zur amerikanischen Regierung gelten beide Institutionen als US-beeinflusst.
Hauptaufgabe des IWF ist, international für Währungsstabilität zu sorgen, Wachstum zu fördern und schuldengebeugten Ländern zu helfen. In diesem Rahmen verordnet er Regierungen Strukturanpassungsmaßnahmen und vergibt daran gebundene Finanzhilfen.
Seit der IWF den armen Ländern Maßnahmen verschreibt, wird er von Kritikern wegen der sozialen und ökologischen Konsequenzen dieser Vorschriften kritisiert: Die Regierungen der armen Länder sparen besonders im Sozialbereich, streichen Bildungs- und Gesundheitsprogramme und öffnen multinationalen Konzernen die Grenze. Darüber hinaus verschulden sich die Länder. Über Maßnahmen und Kredite entscheidet der Fonds ohne Beteiligung der Bevölkerung, relevante Dokumente sind geheim. Besonders in den Neunzigerjahren, also unter der Führung von Camdessus, verschärfte sich diese Kritik. So verschrieb der IWF dem wirtschaftlich taumelnden Brasilien im Herbst 1998 vorbeugend ein Hilfspaket von 41,5 Milliarden Dollar. Spekulanten werteten das besondere Interesse des IWF als schlechten Indikator für die Wirtschaft und zogen ihr Kapital ab. In das korrupte Suharto-Regime in Indonesien pumpte der IWF unbeirrt seit Beginn der Wirtschaftskrise über 60 Milliarden Dollar. Heute lebt jeder Fünfte dieses bevölkerungsreichen Inselstaates in Armut, das Land hat 145 Milliarden Dollar Schulden.
Zuletzt stand der Währungsfonds unter dem Verdacht, Kredite an Russland vergeben zu haben, ohne zuvor die vorgeschriebenen Bilanzprüfungen durchzuführen. Michel Camdessus hatte im September diese in der französischen Zeitung Figaro veröffentlichten Vorwürfe vehement dementiert.
Unter der internationalen Kritik hatte der IWF auf seiner letzten Jahrestagung im September eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Weltbank bei der Armutsbekämpfung angekündigt. Barbara Unmüßig von der Bonner Entwicklungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung kritisierte in einer Analyse dieser Trendwende, dass „die Kernelemente der klassischen Strukturanpassungspolitik wohl kaum grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt und ihre Armutsauswirkungen ernsthaft untersucht werden“. Camdessus kündigte an, nach seinem Rücktritt in Frankreich sein „Verfassungsrecht auf Leben, Glück und Freiheit“ auszuüben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen