: Marien mit Tanzbär
■ Flamenco grotesk: „Flamenco En Route“ auf Kampnagel
Ein riesiges Geschenk harrt auf der Bühne, „für Susana“ heißt es auf der Schleife. Doch Susana kommt nicht: Die berühmte spanische Tänzerin, die der Tanztheater-Gruppe Flamencos En Route zehn Jahre lang als Choreographin zur Seite stand, ist nicht mehr dabei. Stattdessen kommt ein Bär und bringt alles durcheinander. Er verheddert sich in der Schleife und nimmt das Geschenk im Sturm: Heraus platzen die Musiker und Tänzer, die in der Rondon betitelten Hommage an ihre Muse (Choreographie: Brigitta Luisa Merki) die Tradition des Flamenco wiederbeleben und sich dabei nicht allzu ernst nehmen.
Jedes Klischee dient den Darstellern als Objekt des Vergnügens für sich und ihr Publikum, das sich am Mittwoch bei der Premiere auf Kampnagel nach Kräften amüsierte. Der Tanzbär mit Stock und Köfferchen, dessen Schriftzug „oso libre“ von seinem Träger behauptet, er sei ein „freier Bär“, muß den Kellner spielen, die Glocke bimmeln, und den schweren Wagen ziehen. Dabei möchte er doch auch im Küchenkleid tanzen und den „reinas“ gleichen, den Königinnen des Flamenco, die neben ihm steppen. Ein Minotaurus schwingt sich mit freiem Oberkörper durch die Bänder der Frauen. Ein Don Juan – der 24jährige Marcos Avid – blickt verwegen unter der Hutkrempe hervor wie der Mann aus der berühmten Sherry-Reklame, die an allen spanischen Autobahnen prangt.
Viel gilt an diesem Abend ihm, dem Macho, der den Frauen nicht gewachsen ist. Präzise und mit tiefem Ernst bietet er sein überragendes tänzerisches Können dar. Selbst als er als Statist am Rand die Trommel schlägt, ist der Junge so sehr bei der Sache, daß er beinahe an der Erregung seiner aufgeblähten Nüstern erstickt.
Rondon ist ein äußerst unterhaltsames Flamenco-Märchen, ge-spickt mit Anspielungen und umgeben von einer Aura des Volksmusiktheaters. Flamenco muß man am Platz tanzen können. Und so reicht als Bühne ein zehn mal zwölf Schritt großer Holzfußboden, auf dem ein wandelbarer Wagen seine Kreise ziehen kann. Auf ihm tanzen sich die Donas und Machos gegenseitig vor, schreien, singen und spielen (live und exzellent: Momi de Cadiz, Gesang, nebst zwei Gitarristen), ziehen die Vorhänge zu für die Umkleide und springen auf und ab, ganz wie beim Wagenfest der Zigeuner, wenn sie durch spanische Städte ziehen und ihren Heiligen huldigen.
Doch auch die werden nicht verschont: Eine geheimnisvolle Dona als Marienfigur muß mit ihrem Sex-Appeal den erschöpften Don Quichotte auf die Beine bringen, still und heilig, während ihr Tand leise am Busen klimpert
Gabriele Wittmann
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