: Abfall – verzweifelt gesucht
■ Teures Laster Müllverbrennung: Überkapazitäten verhindern die Abfallvermeidung / Höhere Gebühren unvermeidlich? Von Heike Haarhoff
Hamburg, im Oktober 1996: Kaum ist das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Kraft, ist der einst frische Wind über der Stadt miefenden Rauchschwaden aus Zement- und Stahlwerken gewichen. Die millionenteuren Rauchgasfilteranlagen in den Müllverbrennungsanlagen (MVA) haben sich leider als Fehlinvestition erwiesen. Denn die 380.000 Jahrestonnen Gewerbe- und Geschäftsmüll werden längst in preisgünstigeren Fabriken verfeuert. Private Müllentsorgungsfirmen konkurrieren mit der Stadtreinigung. Deren Lumpensammler kaufen zwischen Flensburg und München Müll auf, um die MVA-Kapazitäten auszulasten: Abfall – verzweifelt gesucht.
Ein Szenario, das sich im kommenden Jahr bewahrheiten könnte, falls die Umweltbehörde nicht steuernd in die Abfallpolitik eingreift, warnten gestern Knut Sander vom Hamburger Institut für Ökologie und Politik (Ökopol) und die umweltpolitische Sprecherin der GAL, Antje Möller.
Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz, so das Ergebnis einer Ökopol-Untersuchung zu „Trends in der Hamburger Abfallentsorgung“, steigt die Gefahr, daß die Hamburger Müllverbrennungsanlagen nicht mehr ausgelastet sind. Der Grund: Die Entsorgung des Gewerbemülls – in Hamburg 42 Prozent der gesamten Abfallmenge von knapp 940.000 Tonnen (1994) – darf künftig auch privaten Firmen übertragen werden. Um die Preise zu drücken, würden diese den Müll in umweltschädlichen Industrieanlagen statt in den MVAs verfeuern. Die Stadtreinigung hätte zuwenig Müll, um ihren Lieferverpflichtungen an die Müllöfen nachzukommen. „Dann müssen entweder Kapazitäten abgebaut werden oder die Verträge gekündigt werden“, bagatellisiert Stadtreinigungs-Sprecher Gerd Rohweder. Das aber scheint kaum möglich: MVAs arbeiten nur effektiv, wenn sie ausgelastet sind, können also nicht zur Hälfte stillgelegt werden. Außerdem behält die Stadtreinigung die Entsorgungspflicht, muß also, falls private Ent-sorger wieder abspringen, über ausreichend Kapazitäten verfügen. Die Verträge zwischen Stadtreinigung und MVAs laufen zum Teil über 20 Jahre; wird die vereinbarte Menge nicht geliefert, steigen die Preise: „Das würde sich auf die Müllgebühren niederschlagen“, gibt Rohweder zu.
Für GALierin Antje Möller war „diese Entwicklung schon seit Jahren absehbar“. Anstatt biologisch-mechanische Verfahren zu entwickeln, habe sich Hamburg völlig auf die Verbrennung versteift und könne jetzt nicht flexibel reagieren. Schon heute sei klar, daß viele Müllöfen weit über den Bedarf hinaus geplant wurden: „Vermeidung wird damit unmöglich“, greift Möller die Hamburger Umweltbehörde an.
Vorwürfe, die deren Sprecher Kai Fabig nicht auf sich sitzen lassen will: „Das neue Gesetz wirft Probleme auf. Wir wollen aber in Hamburg ein Gesetz schaffen, das die Belieferung bestimmter Entsorgungsanlagen mit bestimmten Abfallarten verbindlich festschreibt.“ Damit wäre das Verfeuern in Fabriken ausgehebelt. Die Verbrennungskapazität, so Fabig, beruhe auf seriösen Schätzungen, und die Anlagen seien umweltfreundlicher und flächensparender als Deponien.
Hamburg, im Oktober 1996: Die letzten Bäume in Altenwerder fallen der Säge des Umweltsenators zum Opfer – Fritz Vahrenholt besorgt eigenhändig Brennstoff für die leeren Müllöfen.
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