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Ein großer Brocken

■ Der 8. Filmhistorische Kongreß von CineGraph widmet sich der deutsch-französischen Kooperation

Bekanntlich waren die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg etwas gespannt. Nicht aber in der jungen, aufstrebenden Filmindustrie. Als gäbe es weder „Erbfeindschaft“ noch Grenzen, jetteten die Stars und Regisseure zwischen Berlin und Paris hin und her. So fruchtbar war die Zusammenarbeit, die übrigens auch unter den Nazis bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 fortgesetzt werden konnte, daß etwa 15 Prozent der insgesamt 1305 französischen Spielfilme zwischen 1929 und 1939 in deutsch-französischer Koproduktion entstanden.

Wenn es in der Filmgeschichte möglich ist, genaue Zahlen und Hintergründe zu nennen, dann ist oft der in Hamburg ansässige Verein CineGraph beteiligt. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, filmhistorische Fakten zusammenzutragen, Arbeitsschwerpunkt: 20er Jahre, denn: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wenig man noch vor kurzem tatsächlich filmgeschichtlich gewußt hat. Es gab unglaublich wenig gesichertes Material.“ Von der so gewonnenen Basis aus sollen dann die Bedeutungen der Fakten innerhalb der kulturellen Praxis erforscht werden.

Die das sagt, heißt Sibylle M. Sturm und hat CineGraphs 8. Internationalen Filmhistorischen Kongreß konzipiert, der von heute an bis Sonntag in Hamburg stattfindet. Nachdem die alljährlich abgehaltenen Kongresse sich bislang mit einzelnen Filmemachern oder engumgrenzten Ausschnitten der Filmgeschichte beschäftigt haben, hat der Verein sich unter dem Titel Allo? Berlin? Ici Paris!, in Frau Sturms Worten, einen „großen Brocken“ vorgenommen, eben die Zusammenarbeit zwischen den französischen und deutschen Filmemachern und -produzenten in den 20er und 30er Jahren.

Neben Grundsatzreferaten und Emigrantenschicksalen wendet sich der Kongreß den sogenannten Versionen zu. Das war ein Ansatz, die mit dem Aufkommen des Tonfilms entstehende Schwierigkeit zu meistern, einen Film in verschiedensprachigen Ländern vorführen zu können. Eine Synchronisation wäre zwar schon damals technisch möglich gewesen, hätte aber das Publikum zu sehr befremdet: Es hatte sich noch nicht daran gewöhnt, zwischen dem Körper des Schauspielers und seiner Stimme zu trennen. Statt dessen drehte man dieselbe Szene mit verschiedenen Schauspielern zweimal hintereinander – einmal auf deutsch, das andere Mal auf französisch. Fast ein Drittel aller deutschen Tonfilme zwischen 1929 und 1934 wurden als solche Mehrsprachenversionen hergestellt.

Der öffentliche Teil des Kongresses findet im Metropolis-Kino statt. Dort kann man diese Versionen in eigener Anschauung gegeneinanderhalten, zum Beispiel den 1930/31 entstandenen Film Gassenhauer, der – unter derselben Regie von Lupu Pick und derselben musikalischen Mitarbeit der Comedian Harmonists – auch in der französischen Fassung Les quatre vagabonds gedreht wurde. Weiteres Highlight, das auch zur Entspannung nicht nur der Kongreßbesucher dienen kann: Die Hamburger Band Tuten und Blasen übernimmt am Samstag abend die Musikbegleitung zu dem Stummfilm Rapa-Nui, einer wunderhübschen Kolportagegeschichte mit dem jungen Hans Albers. Dirk Knipphals

Termine siehe Kinoprogramm.

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