: Triff deine Mutter im Schrank der Geschichte
Ein Jahr lang suchte die Volksbühne in Shakespeares Königsdramen nach den Naturgesetzen des Kapitalismus. Jetzt ist Schluss: Hans Kresnik inszenierte im Prater den achten und letzten Teil des Diskursreigens: „Richard III. – Der Fortschritt“ ■ Von Esther Slevogt
Am Ende kriegt der schreckliche Richard endlich sein Pferd, aber da nützt es ihm nichts mehr. Hubschrauber dröhnen, die Zuschauer hängen ermattet in den Logen, und ein Tänzer, der aussieht, als gäbe er in einer Bolschoi-Aufführung den Hamlet, schreitet mit läppischem Pathos übers Schlachtfeld: Richmond, im Schlepp ein weißes Pferdefell mit Kopf, das er langsam über dem sterbenden König ausbreitet. Richard bäumt sich noch einmal auf. Er lacht ein höhnisches, verzweifeltes Lachen, und Richmond spuckt ihn an. Erst dann ist Richard richtig tot, die Rosenkriege sind vorüber. Richmond wird Englands neuer König sein. Was jetzt kommt, ist bloß noch Theater.
Fast ein Jahr lang haben Shakespeares Königsdramen um die Rosenkriege ihre Spur durch die Volksbühne gezogen. Neben der roten und der weißen Rose, den um die Macht im Staate Englands kämpfenden Fürstenhäusern York und Lancaster, ging es um ein ansonsten schon reichlich verwelktes Pflänzchen: die rote Nelke des historischen Materialismus.
Es ist die letzte Lust am Diskurs. Die gespielten Dramen hatten alle Untertitel, die verstärkt nach einem sentimental angehauchten Grundkurs in Marxismus-Leninismus klangen: „Das Eigentum“, „Die Lohnarbeiter“ und so weiter. Bernd Neumann hatte im Prater jenes Shakespearesche Mini-Globe-Theater gebaut, das die eigentliche Attraktion des Zyklus wurde und in dessen Arena sich zu so genannten „Shakespeare-Kommentaren“ manchmal auch mehr oder minder gewichtige Spezialisten zu theoretischen Ausführungen einfanden.
In Logen erster oder zweiter Klasse lagen Marx und Engels an der Kette fürs Publikum zum Lesen aus. Wahlweise konnte das Publikum aber auch zu den Groschenromanen greifen, in denen die Königsdramen von heute abgehandelt werden. Wen denn die Dramen zu Tränen rührten oder wem sie den Angstschweiß auf die Stirn trieben, konnte sich mit bereitgestellten Kleenextüchern behelfen. Doch dazu fand sich, man muss es retrospektiv nun leider sagen, wenig Anlass. Der sinnliche Teil der Theaterabende erreichte selten die Tiefe ihrer theoretischen Ansprüche. Es wurde banalisiert, vergröbert, und es gab nur wenige Bilder, von deren gedanklicher oder sinnlicher Schärfe man für einen Augenblick gefesselt war. Nun setzte Hans Kresnik mit seiner Version von Richard III. den Schlusspunkt unter das Projekt. „Der Fortschritt“ heißt der Abend im Untertitel. Was erst mal ganz positiv klingt, sich aber letztlich doch als Trugschluss erwies.
Die Zuschauer, die noch im Vorraum auf den Einlass warten, wurden plötzlich zu Zeugen eines Tribunals. Aus ihrer Mitte treten Schauspieler heraus, die einem alten Ehepaar hinter dem Tresen aggressiv auf den Pelz rücken. Und während nun im Schnellverfahren das Volk das Diktatorenpaar Ceausescu zum Tode verurteilt – hier wird der vor fast zehn Jahren im rumänischen Fernsehen gezeigte Prozess gegen Ceausescu nachgespielt –, hetzt eine Gestalt mit Eberkopf durch die Menge und brüllt den berühmten Satz: „Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd!“ Ceausescu hat, wir wissen es, kein Pferd mehr gekriegt und lag am Ende in seinem schönen Wintermantel erschossen im Schnee. Bei Richard III. wird es am Ende nicht viel anders sein. Er wird sich nun in den nächsten zwei Stunden aber erst mal auf den Thron morden, und das Volk wird doch das Gefühl haben, ihn selbst gewählt zu haben. So kann der Fortschritt trügen – und auch die Demokratie, die sich das Kapital als Staatsform wählte.
Man arbeitet sich langsam in seine Theaterloge vor. An der Rückwand des Modelltheaters steht ein Schrank, auf dem eine Gestalt wutschnaubend herumkriecht und eine Axt schwingt. Sie versucht eine Frau zu erschlagen, die sich im Schrank versteckt: ihre Mutter. An allem ist bloß Mutti schuld. Dann erfahren wir, dass die sehnige Person mit der Axt und dem schwarzen Indianerschopf Richard III. ist. The devil is a woman: die Schauspielerin Karin Neuhäuser nämlich, die sich mit bemerkenswerter Besessenheit durch den Abend kämpft. Jetzt sitzt sie schreiend auf dem Schrank und brüllt Richards Text über seine körperlichen Gebrechen, mit denen er seine Machtgier begründet. Das Gebrechen dieses Richard ist, dass er eine Frau ist.
Inzwischen haben die Schauspieler in den Logen Platz genommen. Sie mimen wechselseitig Volk oder Höflinge, Handlanger oder Opfer. Man blickt von oben auf einen Matsch aus Reis und Wasser herab, in dem sich Kresniks Tänzer einzeln winden oder durch den sie in stampfenden Formationen hindurchmarschieren. Gespielt wird nach der straffen Stückfassung von Uschi Otten, die auf der Übersetzung von Thomas Brasch basiert. Ein lockerer Ton, blutrünstig und alltagssprachlich angehaucht. Die Typen sind allesamt zum Fürchten, wie es sich für einen Shakespeare gehört. Aber es gelingen Kresnik immer wieder sehr genaue Bilder über die Dialektik vom Herrscher und Beherrschten, von Macht und Ohnmacht.
Weitere Vorstellungen: 12., 14., 15., 26., 30. 11. im Prater, Kastanienallee 7–9, jeweils 20 Uhr
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