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Ich werde dich noch etwas mehr lieb haben

Ganz normale Menschen. Du triffst sie im Fitnesscenter, im Sonnenstudio oder auf einem Konzert in der Max-Schmeling-Halle. Dort geraten sie in Ekstase, auch ohne Zugabe oder guten Sound. Denn Barry White sagt: „You are Barry White's friends“  ■   Von Maxi Sickert

Endlich Samstag. Nur noch ein paar Stunden bis zum Konzert von „Mr. Love“ Barry White. Ein wenig Einstimmung wäre jetzt genau richtig, aber leider findet sich keine Barry-White-CD im Regal. Die müssten wirklich mal sortiert werden. Also auf zum nächsten und übernächsten Plattenladen – in diesem Fall in der Bergmannstraße. In beiden Geschäften gibt es auf die Frage nach Barry White nur ungläubige Blicke und mit einem kurzen „Haben wir nicht“, wenden sich die Inhaber wichtigeren Dingen zu. Auch in der Zossener Straße: nichts. Es gibt anscheinend keine Barry-White-Fans in Kreuzberg. Wird überhaupt jemand zu diesem Konzert gehen?

Acht Uhr, Eberswalder Straße. Stau. „Bestimmt wollen die alle zu Barry White.“ Das war als Witz gemeint. Doch dann ziehen ganze Ameisenstraßen von Pärchen und Grüppchen aus allen Richtungen zur Max-Schmeling-Halle. Das Konzert von Barry White und Earth, Wind & Fire ist ausverkauft. Wer schon immer wissen wollte, wer eigentlich die Menschen sind, die die unzähligen Sonnenstudios und Fitnesscenter in Berlin am Leben halten, und was diese Menschen sonst noch gerne tun, findet hier die Antwort.

In der Max-Schmeling-Halle schieben sich 6.500 Menschen vom McDonald's zum Bierstand. Irgendwann steht Philip Bailey auf der Bühne, der Sänger von Earth, Wind & Fire.

Auch andere stehen dort und zupfen an ihren E-Gitarren herum. Klangfetzen einer verlorenen Zeit bringen das Publikum in Ekstase, obwohl der Sound schlecht ist und man nur ahnen kann, was die Musiker da eigentlich machen. Dann rollen die 18 Geigen des „Love Unlimited Orchestra“ den Klangteppich aus für ihn, der so aussieht, wie seine Stimme klingt: rund, weich, groß und bärtig.

In einem Interview sagte Barry White kürzlich, er sei immer noch nervös auf der Bühne. Und jetzt tritt er in seinem grün glitzernden Anzug zum Mikrofon und hält sich daran fest. Die andere Hand umklammert ein schwarzes Seidentuch, mit dem er sich später die Schweißperlen abtupft. Die langen schwarzen, gelglänzenden Haare sind zu einem Zopf geflochten, und bevor sich eine Unsicherheit einstellen kann, kommen die ersten Takte von „I'm Gonna Love Ya Just A Little More Baby“, seiner ersten Hitsingle von dem 72er Debüt „I've Got So Much To Give“.

Das Album war damals der Durchbruch für den 1944 in Texas geborenen Barry Eugene White, der mit seiner allein erziehenden Mutter in Watts/L. A. aufwuchs und mit fünfzehn im Jugendgefängnis landete. 1972 noch Wohlfahrtsempfänger, zahlte er bereits ein Jahr später eine Million Dollar Einkommensteuer. In den Siebzigerjahren produzierte, komponierte und schrieb er Songs für insgesamt zwanzig Alben. Dann wurde es stiller um ihn. Barry White fand sich in den Achtzigerjahren, in der Disko-Ära, nicht zurecht.

Doch nur die Liebe zählt. Barry White machte weiter. Jetzt ist nach vier Jahren sein neues Album, „Staying Power“, erschienen, zusammen mit seiner Autobiografie „Insights Of Live & Love“. Die großen Rhythm-&-Blues-Hits der Siebziger, die als goldene Schallplatten an den Wänden seines Hauses in Hollywood hängen, gehen auf der Bühne ineinander über, doch der Sex seiner Stimme geht irgendwo im basslastigen Sound verloren.

Zwischendurch geht Barry White zu einem kleinen Tisch auf der Bühne und trinkt stilles Wasser aus einem Kristallglas. Daneben liegt ein Taktstock, aber dann dirigiert er doch lieber mit seinen Händen, die für einen Soulstar seltsam ringlos sind. Das schwarze Seidentuch lässt er dabei nicht los.

Dann bedankt er sich beim Publikum: „You are Barry White's friends.“ Noch eine Zugabe, dann wird er von seinem „personal assistent“ von der Bühne geführt. „Barry! Barry!“ Er kommt nicht noch einmal zurück. Zu Hause in L. A. würde jetzt seine weiße Stretchlimousine warten. Hier ist es nur ein Taxi.

Vor der Halle trifft man erstaunlicherweise den Sänger der New Comedian Harmonists, der mal „den tiefen Bereich“ von Barry Whites Stimme ausloten wollte, und den Jazztrompeter Till Brönner. Barry-White-Fans. Auch in Kreuzberg gibt es jetzt einen mehr.

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