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Remixt noch mal

berall ist Berlin-Mitte: Das Kunstmuseum Wolfsburg versucht sich mit der Ausstellung „German Open“ an einer Ortsbegehung zu deutscher Gegenwartskunst  ■   Von Harald Fricke

Die selbstverständliche Freizügigkeit im Umgang mit ihrer Umgebung macht viele der künstlerischen Entwürfe erst stark

Samstag. Am Tagesspiegel. Schon wieder die jungen deutschen Schriftsteller. Harald Martenstein schreibt über „Tristesse Royale“ und dass die große Tugend von Kracht, Stuckrad-Barre etc. ihr Wille zur Distinktion ist. Sie kommen aus der Popkultur und kennen ihre Klassiker. Momentan füllen die Literaten der Generation nach dem Mauerfall die Lücke zwischen alter Bundesrepublik und neuer Mitte offenbar am besten. Aber auch in der bildenden Kunst wird sich umorientiert. Es gibt ein Leben nach Beuys und Baselitz, nach Kippenberger und Trockel, nach Konzeptkunst alter Schule und politischem Aktivismus aus der Hans-Haacke-Ecke. Zum Beispiel in Wolfsburg. Dort hat man im Kunstmuseum mit „German Open“ einen ersten Überblick zu „Gegenwartskunst in Deutschland“, wie es im Untertitel heißt, gewagt.

Vor ein paar Jahren noch wäre eine solche Initiative, das Terrain mit 37 Künstlernamen von Franz Ackermann bis Joseph Zehrer zu markieren, von Köln ausgegangen und durch die entsprechenden Galerien unterstützt worden. Auf diesem Weg war Kontextkunst anfang der Neunziger für diverse Ausstellungen und Sammler wie Wilhelm Schürmann fit gemacht worden. Inzwischen liegt Köln weit draußen an der Peripherie, wenn man sich die Landkarte von Berlin aus anschaut. Bald kommt der Bund, und der will Bilder für die Büros seiner Parlamentarier an der Spree. Bereits jetzt werden 22 der in Wolfsburg gezeigten Künstler von Galerien aus Berlin-Mitte vertreten, die Zahl dürfte im Zuge von „German Open“ weiter steigen. Gleichzeitig bringt dieser Perspektivwechsel für Gijs van Tuyl als Direktor des Wolfsburger Kunstmuseums den Vorteil, dass „wir ein Satellit von Berlin sind, dass wir ganz nah sind“, so wie man nächstes Jahr zur Expo 2000 ganz nah dran ist an Hannover. Und überhaupt: Volkswagen werden immer gebraucht. Wenn nicht in Amerika, dann eben in China. Nur welche Kunst passt zu VW?

Womöglich das Video von Christian Hoischen: „Übel“ steht gleich im Eingangsbereich zwischen Garderobe und Museumsshop. Auf dem Fernsehmonitor tauchen geloopte Szenen aus Nachrichtensendungen auf – Attentate, Demos und sterbende Stiere. Dazu gähnt eine Stimme aus dem Off oder kommentiert das Drama mit „Oooh-Scheiiße-üüübel-buah-was-ist-dasss-denn“. Man kann davon ausgehen, dass sich der Betrachter, den Hoischen mit seiner Arbeit ins Visier nimmt, im nächsten Moment nicht mehr für die Fernsehbilder interessiert, denn die Wahrnehmung ist sprunghaft, und andere Sender warten schon. In der monotonen Wiederholung werden Ereignis und Kommentar zur Parodie auf den immer gleich geknüpften Teppich aus Informationen. Dessen zähe Beschaffenheit überträgt sich allerdings ebenso schnell auf Hoischens Operation am Medium: Dann lässt sich in der Endlosschleife nicht mehr zwischen radikaler Engführung des Originalmaterials und ermüdender Televisionspädagogik trennen.

Auch Hoischen lebt in Berlin und hat doch im Januar für sein „Übel“-Video den Förderpreis der Stadt Bremen gewonnen. Damals war Veit Goerner in der Jury, der als Kurator am Kunstmuseum Wolfsburg für die Auswahl zu „German Open“ mitverantwortlich ist. Zumindest bei Hoischen kann man also nachvollziehen, welche Verbindungen einen Künstler aus der enormen Masse des Berlin-Nachwuchses in eine Ausstellung führen, die sich als repräsentativ für die Neunzigerjahre versteht. Ansonsten gibt es für die Zusammenstellung gar kein Konzept: Was Goerner gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Brodbeck als „Feldforschung“ begreift, ist eine lose Koppelung von Einzelpositionen, die seit der Berlin Biennale letztes Jahr darauf warten, aus dem Hauptstadthype in die internationale Liga gehievt zu werden. Wer nicht in Wolfsburg mit am Start ist, wird gerade von Klaus Biesenbach als „Children of Berlin“ in New York eingeführt. Der Rest muss sehen, wie er das Geld für die Künstlersozialkasse reinholt. Mittelfristig ist auch Kunst in Berlin ein Beiprodukt des neoliberalen Umbaus, der auf der einen Seite mehr Prada vorsieht und mehr Armut auf der anderen.

Trotzdem will man in Wolfsburg von solcherlei Segmentierung durch die ordnenden Gesetze des Marktes nichts wissen: „Lass es wuchern“ war das Motto, das sich bis in die Ausstellungsarchitektur ausgeweitet hat. Fünf zusätzliche Wände schlängeln sich wurzelartig verzweigt durch den Raum, damit sich die Kunst im Organismus des Museums wohl fühlt. Der Kuschelkurs hat Folgen: In John Bocks Installation aus Punkrock-Memorabilien, Abflussrohren und Heuballen sitzt ein Huhn, das am Tag vor der Eröffnung ein Ei gelegt hat. Gerahmt wird das Ganze von drei Wandmalereien, die den schwimmhallenhohen Raum fast bis zur Decke ausfüllen. Tobias Rehberger hat die Mammutaufgabe mit hübsch in den Farben des Herbstes gehaltenen Deko-Äpfeln gelöst, Franz Ackermann hat seine Wand mit schwarzen Rallyestreifen verziert, und von Michel Majerus kommt die Erkenntnis „What looks good today may not look good tomorrow“. Damit man den Satz nicht gleich auf seine Arbeit bezieht, hat er ein „now's the time“ nachgeschoben – gute Kunst ist hier und jetzt. Und ironisch.

Ohnehin ist Ironie der Ausgangspunkt für „German Open“: Es gibt keine allein gültigen Meisterwerke mehr, die politischen Bewegungen der 68er sind nur noch Geschichte, Turnschuhe regieren das Land. Die künstlerische Produktion der Neunzigerjahre hat sich deshalb im diffusen Bereich des Privaten eingerichtet, irgendwo zwischen 24 Stunden MTV, Gameboy und PC. Sie spielt gerne mit Intimitäten wie bei Stefan Exler, dessen Fotos zugemüllter Junge-Leute-Zimmer bis ins Detail mit Symbolen aus Subkultur und Studentenleben ausgestattet sind. Vor allem betrachtet sie Jugend schlechterdings als entfesselte Triebkraft: Marc Brandenburg zeichnet mit seiner Serie „Tiergarten“ schwule Sexszenen, die sich in Blätter- und Blütenornamenten auflösen; Peter Pommerer überzieht einen Kubus mit Klosprüchen als Signatur öffentlich gemachten Begehrens, und selbst auf Peter Friedls rosa Ballon ist Platz für die hingekritzelte Gleichung „Ego/Ass“.

Identität ist schön, macht aber viel Arbeit. Mit dieser Einsicht ins Ich sind die Kuratoren für „German Open“ durch 120 Ateliers gereist und haben 37 Künstler gefunden, auf die die Zuschreibung zutrifft. Stefan Hoderlein ist mit einem Korridor aus tausendfach leuchtenden Dias dabei, weil sich bei ihm das Herumstromern in Clubs und das akribische Archivieren von Alltagsbildern ergänzen – „sammeln und sampeln“, wie es im Katalogvorwort heißt. Johannes Wohnseifer wurde mit einem gemalten Logbuch aus den Seventies eingeladen, das zwischen eigener Biografie und historischen Begebenheiten schillert. Kraftwerk und RAF-Ästhetik, Formel-1- und Lavalampen-Design – alles eine Frage des Remix. Und die per Computer neu abgemischten Firmenlogos von Daniel Pflumm gehören nach Wolfsburg, weil Pop nur noch Markenprodukte herstellt, die als „Salesargument der Werbeindustrie“ dienen: „Canned Heat bei Opel, die Stones bei Volkswagen oder Dennis Hopper als Easy Rider bei Ford“. Dass Pflumm mit seiner Logo-Parade aus Waschmittelreklame und CNN-Infotainment nichts verkaufen, wohl aber den Kunstbetrieb „als Supermarkt“, wie Michael Houellebecq sagen würde, vorführen will, scheint für die Ausstellungsmacher keine Rolle zu spielen. Hauptsache, die Zeichen stimmen.

Und siehe da, es funktioniert. In unzählige Kojen, Nischen und Kartonburgen zerteilt, rührt einen das Wolfsburger Chaos seltsam an. Alles scheint sich mit jedem vereinen zu wollen, für jede Grille ist Platz genug: Max Mohr baut alienähnliche Party-Lounges aus Prothesenplastik, und das ist okay, Christian Jankowski lässt junge Pärchen ihren Beziehungsstress in einem Dortmunder Pornostudio ausleben, und das geht auch in Ordnung. Diese Unkompliziertheit, diese selbstverständliche Freizügigkeit im Umgang mit ihrer Umgebung macht viele der künstlerischen Entwürfe erst stark: Franz Ackermanns „Evasion“-Bilder scheinen in ihrem kartografischen Stadtplanerüberschwang zu explodieren. Stillstand sieht anders aus.

Mit der Begeisterung für die allgemeine Buntheit wachsen allerdings auch die Probleme. Es fehlt der gemeinsame Nenner in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen, die in einigen Arbeiten durchaus angelegt ist. Matti Brauns Konferenztisch, der tatsächlich für den G-8-Gipfel letzten Juni entworfen wurde, wird als gut gestaltete Polittrophäe präsentiert, obwohl Braun mit den Möbeln in Anlehnung an 2001-Interieurs die sciencefictionhafte Künstlichkeit betont, die solchen supranationalen Kommissionen innewohnt. Umgekehrt verlieren sich Silke Wagners sehr realitätsbezogene Plakate zu verfeindeten Glasgower Fußballfans im Treppenhaus auf dem Weg ins Museumsbistro. Neben Wagner sind für „German Open“ gerade mal vier Künstlerinnen vertreten: Heidi Specker, Cosima von Bonin, Sunah Choi und Simone Böhm. Das ist nicht schön, das ist schade. Offensichtlich sind Frauen in Wolfsburg am Ende der Neunziger nicht gefragt – obwohl erst im Sommer die Berliner Bildhauerin Monica Bonvicini den Pavillonpreis der Biennale in Venedig gewonnen hat. Dabei hätte eine in Deutschland und den USA lebende italienische Künstlerin sehr gut dem angeblichen Ziel entsprochen, „nicht nur Künstler mit deutschem Pass zu zeigen“.

Stattdessen spiegelt sich in Wolfsburg aktuelle Kunst gern als Spielwiese von Jungs und für Jungs wider. Die Maniker dominieren: Jonathan Meese hat einen riesigen schwarzen „Gothic“-Gral gebaut, der sich vom Nibelungenlied über Nietzsches Zarathustra zu „St. Heideggerz“ und Runenkult durch Germanien zitiert. Manche nennen es Tabubruch, andere sprechen im Katalog von der „Macht der Worte und Gesten“, aus der der Hamburger Stand-up-Performer „eine neue, individuelle Mythologie“ schnitzt. Auf eine Analyse der historisch einigermaßen verstrahlten Begriffe verzichtet Meese, lieber lässt er seine Wortgebilde anschwellen, bis „Bayreuth“ und „Zucht“, „Erzfeind“ und „Monumentalmensch“ im Bedeutungsfeedback dröhnen. Wer will, kann sich dazu Gott als DJ vorstellen. Oder Peter Sloterdijk. Irgendein Boys Club hat immer auf.

Bis 26. 3. 2000 im Kunstmuseum Wolfsburg

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