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Bedürftigen geht es jetzt an's leere Portemonnaie

■ Die Bremerhavener Tafel kassiert neuerdings zwei Mark für alte Lebensmittel

Arme und Obdachlose müssen in Bremerhaven künftig Geld für gespendete Lebensmittel löhnen: Die Bremerhavener Tafel fordert von den Bedürftigen seit November zwei Mark – für ein Lebensmittelpaket mit z.B. Brot vom Vortag, reifem Obst oder Milch und Joghurt kurz vorm Verfallsdatum. Dagegen läuft jetzt die „Solidarische Hilfe“ in der Seestadt Sturm. „Das entspricht nicht mehr dem Grundgedanken der Tafel“, kritisiert Klaus Görke von der Solidarischen Hilfe, bei der sich empörte Bedürftige gemeldet hatten.

Ihre gemeinsame Forderung: Die Arbeiterwohlfahrt, die die „Tafel“ in Bremerhaven managt, soll die Lebensmittel wieder kostenlos vergeben. Denn immerhin: Täglich kommen laut Görke rund 1.000 Hilfebedürftige zur Tafel. „Allein in einer Woche werden mehrere tausend Mark von den Ärmsten der Armen abkassiert“, kritisiert er. Außerdem müsse man seine Bedürftigkeit durch Vorlage eines Sozialamts-Bescheids nachweisen. „Das alles läuft dem Grundgedanken der bundesweiten Tafeln zuwider, die unbürokratisch gespendete Nahrungsmittel an Bedürfige verteilen.“

Eine Kritik, die bei der federführenden Arbeiterwohlfahrt (AWO) allerdings niemand so richtig teilt: Der neue „Obolus“ von zwei Mark pro Ausgabe sei für eine „Modellphase“ eingeführt worden, erklärt Volker Tegeler, Geschäftsführer der AWO in Bremerhaven. Mit dem Geld würden anfallende Benzinkosten oder Autoreparaturen bezahlt. Der Zusammenschluss aller Wohlfahrtsverbände, die die Tafel in Bremerhaven betreiben, komme nämlich mit dem Geld nicht mehr hin: „Wir hätten das Angebot sonst aufgeben müssen.“

Offizieller Grund für den Geldmangel: Die Wohlfahrtsverbände hätten kaum noch Geld, weil die Stadt seit Jahren städtische Zuschüsse eindampfe. Die Bremerhavener Tafel sei seit Jahren ein komplettes Zuschussgeschäft: Die Stadt beteilige sich – anders als zum Beispiel in Bremen – nur gering an den laufenden Kosten wie Miete oder Lieferung. „Seit vier Jahren verhandeln wir mit der Stadt schon darüber, dass sie sich mehr beteiligt – jetzt können wir die Belastung einfach nicht mehr tragen.“

In der Tat bestätigt die „Tafel“ im benachbarten Bremen: Auch andere Tafeln im Bundesgebiet stecken mittlerweile in Schwierigkeiten und würden auch neuerdings „Geld verlangen“, weiß Wilfried Runge von der Bremer Tafel – weil sie die Kosten für Heizung oder Miete nicht mehr tragen können. In Bremen dagegen hilft die Stadt mit einem kräftigen Mietkostenzuschuss – der Rest des Geldes kommt durch Vereinsbeiträge und Spenden herein. Die Lebensmittel werden unentgeltlich abgegeben, „wir verlangen nur zum Beispiel den Pfand, den wir ja auch an die Spender wieder zurückzahlen müssen.“ Gegen einen solchen kleinen Obolus sei grundsätzlich auch nichts zu sagen: „Die Tafel funktionieren ja im Grunde wie ein Selbsthilfeverein, für den man dann eben eine kleine Selbstbeteiligung verlangt.“

Das sieht die Arbeiterwohlfahrt genauso: Man wolle eben nicht mehr nur auf die „Almosengeschichte setzen, sondern die Leute auch miteinbeziehen“, sagt Geschäftsführer Volker Tegeler zum neuen Prozedere. Und die Bremerhavener Sozialbehörde blockt die Kritik der Solidarischen Hilfe ebenso ab: Man unterstütze die Tafel immerhin mit knapp 10.000 Mark. Aber mehr Geld sei eben nicht drin: „Wir haben im Sozialetat eine millionenhohe Deckungslücke“, sagt der zuständige Sozialdezernent.

Das Angebot der „Tafel“ sei eine durch und durch freiwillige Leis-tung, befand bislang die Bremerhavener Politik. Kurzum: Wer bedürftig ist, werde in Bremerhaven mit Sozialhilfe versorgt, „so dass keiner unter Not leidet.“ Und wenn ein alkoholabhängiger Vater sein Geld versäuft, statt seine Kinder zu ernähren, sei das nicht das Problem der Stadt: „Irgendwann ist die Kraft eben zu Ende.“ kat

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