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Der Preuße vom Balkan trainiert in Köpenick

Georgi Wassiliev ist der erste bulgarische Profitrainer in Deutschland. Mit seiner Hilfe soll der FC Union endlich den Aufstieg in die zweite Bundesliga schaffen. Selbst die zunächst ablehnenden Fans aus der Wuhlheide spielen mittlerweile mit. Ein Porträt des „Generals“    ■ Von Jürgen Schulz

Sie nennen ihn den „General“. „Das liegt wahrscheinlich daran“, vermutet Georgi Wassiliev „dass ich früher Trainer bei ZSKA Sofia war.“ Doch wenn der Zivilangestellte beim bulgarischen Armeesportklub auf dem Übungsgelände des 1. FC Union an der Wuhlheide seine Spieler scheucht, sind Ähnlichkeiten mit einem ranghohen Militär nicht zu leugnen.

Als „hart, aber korrekt“ beschreiben die Profikicker aus Köpenick ihren neuen Trainer. Kopfschütteln riefen zunächst dessen Methoden hervor. Während die Konkurrenz auf Waldläufen Kondition bolzt, tummeln sich die Unioner exklusiv auf ihrem 120 Meter langen und 50 Meter breiten Arbeitsplatz. „Spielnahe Übungen“, nennt der Bulgare die Rasenspiele, denn „wir sind keine Leichtathleten, sondern Fußballer“. Da staunte selbst der erfahrene Mannschaftskapitän Jörg Schwanke, 30, der noch für die DDR spielte: „So etwas habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt!“

In seinem kleinen Arbeitszimmer im Stadion „Alte Försterei“, zwischen einem abgewetzten Sofa und dem abschreckend knarrenden Telefon, erlebt man einen unorthodoxen „General“. Lächelnd toleriert der 53-Jährige sogar fachlich fragwürdige Einwürfe, die bei Kollegen zum sofortigen Abbruch aller Kontakte führen würden. Wassiliev findet sogar lobende Worte für jene Fans, die ihn nach den ersten Saisonauftritten schroff ablehnten, als Union weit unter den Erwartungen geblieben war. „Die Leute zahlen Eintritt, sie haben das Recht zu pfeifen“, konzidiert der Bulgare in gutem Deutsch.

Die Zeiten ändern sich. Jetzt, da seine Mannschaft die Tabellenspitze der Regionalliga ziert, wird der Mann aus Trnovo, zwischen Sofia und der Schwarzmeer-Stadt Varna gelegen, in Köpenick auch schon mal auf offener Straße beglückwünscht. Anfang November, beim Heimspiel gegen Dresden, erhielt jeder der 10.000 Besucher freien Eintritt, der mit einem – echten oder angeklebten – Bart à la Wassiliev um Einlass bat.

Union darf wieder vom Aufstieg in die 2. Bundesliga träumen, doch der Verein hat diesen Umstand lediglich einem Zufall zu verdanken. Weil Wassiliev-Vorgänger Fritz Fuchs, 58, mit Vorliebe gegen die angeblich verweichlichte Mentalität seiner Mannschaft („Turnschuhgeneration“) wetterte und kurz vor Saisonstart unter dubiosen Gründen zu Rot-Weiß Essen flüchtete, stand der 1. FC Union unter Zugzwang. Nach dem Pfälzer Fuchs, der mittlerweile auch im Ruhrpott gescheitert ist, wurde Präsident Heiner Bertram, 58, radikal: „Wenn die Fans schon keinen Trainer aus dem Westen mehr sehen wollen, dann holen wir eben einen ganz weit aus dem Osten.“

Als Wassiliev im Sommer anheuerte – als erster bulgarischer Trainer, der deutsche Profis zum Schwitzen bringt –, kamen Bertram Selbstzweifel: „Dieser Mann ist eine Nummer zu groß für uns“, unkte der Präsident.

In seiner Heimat gilt der Union-Neuzugang als absolute Koryphäe. Viermal errang der Mann aus der zur europäischen Spitze zählenden Fußball-Hochburg vom Balkan die nationale Meisterschaft: mit Trnovo sowie den Hauptstadt-Klubs Levski und ZSKA Sofia. Im Europacup scheiterten renommierte Gegner wie die Glasgow Rangers an den taktischen Winkelzügen des „Generals“. Vorübergehend betreute Wassiliev sogar die Nationalmannschaft, für die er auch den bei uns populären Balltreter Krassimir Balakov zum internationalen Star formte.

Und so ein Könner steigt freiwillig ab in die dritthöchste deutsche Liga? „Nur wenige Freunde haben meinen Schritt verstanden“, erzählt der polyglotte Neuberliner (Wassiliev spricht neben Deutsch noch Russisch und Englisch). Für seinen Job in Köpenick schlug der Sportlehrer wesentlich höher dotierte Offerten aus Portugal und der Türkei aus. „Für mich ist Union kein Abstieg“, versichert der junge Opa, dessen Tochter Marinela im September in Köpenick Enkelkind Greta zur Welt brachte. „Deutschland ist mein Traumland.“

In der Tat sprießen Wassilievs „deutsche Wurzeln“ tief in seiner Biografie. Bevor der Erfolgscoach 1988 als Jahrgangsbester an der Sporthochschule Köln seine Trainerlizenz erwarb, besuchte er die Universität seiner Heimatstadt Trnovo. Schon als Student der Geschichte schwärmte der Mann für die deutschen Klassiker Goethe und Schiller. „Als Autodidakt lernte ich Deutsch, um ihre Werke zu verstehen.“ Wenn Weimar besser Fußball spielen könnte, wäre der Stürmer und Dränger aus Bulgarien wohl dort gelandet.

Anekdoten aus Wassilievs Vita, bevor er vollends der „Droge Fußball“ verfiel. Sofern es die knappe Freizeit zulässt, flaniert der „General von Köpenick“ durch den alten Berliner Stadtkern, von Unter den Linden bis zum Brandenburger Tor, „wo fast jedes Gebäude Geschichte atmet“. Die Lehrbücher von Sepp Herberger oder Hennes Weisweiler, den Granseigneurs des populärsten deutschen Volkssports, haben allerdings die Leiden des jungen Werther aus der vorderen Reihe seines Bücherregals verdrängt.

Was von der deutschen Klassik hängen blieb, ist des Bulgaren perfektionistischer Umgang mit Taktik und Disziplin auf dem Spielfeld. Unions Präsident nennt den sportlichen Leiter einen „Preußen vom Balkan“. Als Wassillievs bester Akteur, der bulgarische Nationalspieler Ivailo Andonov, 31, einmal nicht richtig mitzog, soll er nur knapp der Entlassung entgangen sein.

Die Elf aus Köpenick päsentiert sich zum Schrecken der Konkurrenz als intaktes Kollektiv ohne auffallende Schwächen, aber auch ohne markante Stärken. Alle Rädchen greifen ineinander, typisch deutsche Wertarbeit, sollte man meinen. In den bisherigen 14 Partien der Regionalliga Nordost konnte die Köpenicker Mannschaft von den Gegnern noch kein einziges Mal bezwungen werden. Wo soll das enden? Am besten in der 2. Bundesliga.

Doch Wassiliev hat seine Leute auch in Sachen Optimismus im Griff. Vom Präsidenten bis zum Platzwart wird der Anspruch auf den begehrten Meistertitel unisono verneint. Geträumt werden darf, wenn das erhoffte Ziel rein rechnerisch nicht mehr zu verhindern ist, und dann, bitte schön, gefälligst im kollektiv Siegestaumel. Spontaneität will wohl überlegt sein bei den Wuhlheidern.

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