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Das Herz schlägt bei Kiepert

■  Oskar Lafontaine schrieb bei einer Signierstunde in der Buchhandlung Kiepert den BerlinerInnen Widmungen wie „Für den Herrn Vater“ oder „Mit sozialdemokratischem Gruß“ ins Stammbuch

Oskar Lafontaine konnte die Geldscheine zwar nicht sehen, die in die Registrierkasse wanderten. Doch mit dem linken Ohr konnte er das Knistern der 20er, 50er und 100er hören, die hunderte von BerlinerInnen auf den Ladentisch legten, um dann direkt neben der Kasse die begehrte Unterschrift des ehemaligen SPD-Parteichefs und Finanzministers zu bekommen.

Gestern schrieb Lafontaine, der derzeit die Bestsellerlisten abwechselnd mit den Memoiren von Marcel Reich-Ranicki anführt, nach Signierstunden in Hamburg, München und Saarbrücken auch den Berlinern seinen Namenszug in sein Buch „Das Herz schlägt links“. Bereits eine Stunde vor seinem Eintreffen bei Kiepert in der Hardenbergstraße hatte sich eine lange Schlange gebildet. Freut man sich dort über bisher 700 verkaufte Exemplare, verweist der Econ-Verlag auf etwa 300.000 verkaufte Exemplare. Derzeit ist die 13. Auflage in Vorbereitung. Wo es Änderungen geben wird, ließ Lafontaine offen. „Einige Stellen müssten aktualisiert werden, mal gucken.“

Ebenso bereitwillig, wie die Berliner mit dem Erwerb des 39,90 Mark teuren Buches zur Vergrößerung seines Priatvermögens beitrugen, erfüllte Lafontaine ihre diversen Signierwünsche. Er schrieb Widmungen wie „Für Anna“, „Für Hermann“, „Für den Herrn Vater“ oder „Mit sozialdemokratischem Gruß“. Einer Landsmännin, die ihm in breitestem Saarländisch sagte: „Jetzt müssense ja schaffe wie blöd“, schrieb er eine Widmung zum 90. Geburtstag der Mutter.

Neben dem Verdienst aus mehreren hundert verkauften Buchexemplaren nahm Lafontaine auch diverse Geschenke mit. Jemand hatte ihm Erich Frieds „Gründe“ mitgebracht, ein anderer einen Plastikhefter, auf dem das Wort „Hoffnung“ zu lesen war, und ein Volkswirt hatte ihm eine Sammlung von Artikeln zum Thema Weltfinanzen in die Hand gedrückt, die „weniger den Mainstream wiedergeben“.

Doch Lafontaine musste auch Kritik einstecken. Ein arbeitsloser türkischstämmiger Jurist, der nach Lafontaines Rücktritt aus der SPD ausgetreten war, der er zwanzig Jahre angehört hatte, wollte Lafontaine höchstpersönlich vorwerfen, dass er es nicht gut fand, dass er den Parteivorsitz niedergelegt hat. Lafontaine hörte zu und schwieg. Auch als ein anderer ihn aufforderte: „Ich bitte Sie, im Dezember auf den SPD-Parteitag zu gehen“, blieb sein Mund verschlossen. Mit einem Fingerzeig in Richtung der Fernsehkameras gab er außer einem Lächeln wenig preis. Nur so viel: „Ich bin darüber noch in Beratung.“ B. Bollwahn de Paez Casanova

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