■ Die EU plant die Zukunft der europäischen Verteidigungspolitik: Problematische Konsequenzen
Das erste gemeinsame Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der EU-Staaten eröffnete mit einem Paukenschlag. Großbritannien regte die Bildung eines 50.000 Personen starken schnellen Eingreifkorps an. Steht damit die Militarisierung der EU ins Haus? Muss man, wie es Romano Prodi vorschwebt, bereits an eine europäische Armee denken? Wird sich Europa verteidigungspolitisch von den USA emanzipieren? Und welche Handlungszwänge ergeben sich für deutsche Sicherheitspolitik?
Die seit Maastricht 1991 dahinplätschernde Diskussion über eine sicherheits- und verteidigungspolitische Identität Europas wurde durch den Kosovo-Krieg dramatisch beschleunigt. Er deckte schonungslos die militärische Abhängigkeit der Europäer von den USA und die wachsende militärisch-technologische Lücke zwischen ihren Streitkräften auf. Damit soll jetzt Schluss sein. Die zunehmend irrelevante kollektive Verteidigung soll zwar Sache der Nato bleiben, die neuen Aufgaben des Krisenmanagements, der Friedensbewahrung und Friedensschaffung aber sollen von der EU übernommen werden.
Aus drei Gründen ist dies Vorhaben mit Skepsis zu betrachten. Erstens fehlt das Geld. Die Streitkräfte der europäischen Staaten sind bis heute überwiegend auf die territoriale Verteidigung ausgerichtet. Um schnell in weiter entfernten Gebieten intervenieren zu können, fehlen ihnen etwa Lufttransportkapazitäten oder satellitengestützte Aufklärungsmittel. Um einen Krieg wie im Kosovo ohne die USA zu führen, müssten Rüstungsvorhaben in der Größenordnung von bis zu 100 Milliarden Mark finanziert werden.
Zweitens verfolgen die Europäer unterschiedliche Zielvorstellungen. Während es Frankreich in erster Linie darum geht, Unabhängigkeit von den USA zu erkaufen, zielt die britische Politik darauf ab, Einfluss in den USA zu kaufen. Durch neue Verteidigungsanstrengungen, so das britische Kalkül, könnten sich die Europäer den USA als ernst zu nehmender militärischer Partner empfehlen und das Gewicht Europas im inneramerikanischen Entscheidungsprozess stärken. Entsprechend bereitwilliger akzeptieren die Briten amerikanische Forderungen. So wären sie zum Verzicht auf permanente europäische Strukturen bereit, damit die unter amerikanischer Kontrolle stehende integrierte Kommandostruktur der Nato nicht gefährdet wird.
Drittens wäre die Rolle Deutschlands in einer rein europäischen Verteidigungsarchitektur zu klären. Die Nato unter amerikanischer Führung erfüllte neben der kollektiven Verteidigung eine weitere Funktion: Sie hegte verlässlich deutsche Macht ein. Ob diese Frage heute noch akut ist, weiß man nicht. Die gescheiterten Versuche einer europäischen Verteidigung lassen aber vermuten, dass eine europäische Konstruktion auf diese Frage keine Antwort bietet.
Europa ist also noch weit davon entfernt, militärische Macht zu werden und sich von den USA zu emanzipieren. Zunächst geht es den EU-Staaten nicht um eine Alternative zur Nato. Europa soll in den Krisen handlungsfähig werden, in denen die USA nicht eingreifen wollen. Die europäische Komponente bliebe eine Reserve, die Nato hauptverantwortlich für europäische Sicherheit.
Aber bereits dies hätte weitreichende und problematische Konsequenzen für die deutsche Sicherheitspolitik. Briten und Franzosen ventilieren die Einführung von Konvergenzkriterien, die analog zur Währungsunion die EU-Mitglieder auf eine Anpassung, das hieße im Falle Deutschlands eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben, verpflichten würden. Darüber hinaus wird der Druck von außen zunehmen, die Diskussion über die Zukunft der Wehrpflicht und der Bundeswehr zu Gunsten einer kleineren, professionellen und interventionsfähigen Armee zu entscheiden. Und schließlich droht perspektivisch eine schleichende Entdemokratisierung der Verteidigungspolitik. Je mehr die EU eine gemeinsame Sicherheitspolitik organisiert, desto mehr werden sich ihre Mitglieder dem gemeinsamen Handeln nicht mehr entziehen können. Es entsteht ein funktionaler Zwang zum Mitmachen, der demokratisch legitimierte parlamentarische Entscheidungen über Gebühr vorwegnehmen könnte.
Matthias Dembinski
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