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„Aderlass“ am Bremer Schauspielhaus

■ Fast ein Drittel des Sprechtheater-Ensembles wird Bremen zum Saisonende verlassen. Die Gründe sind vielfältig. Doch am „Durchlauferhitzer“ Bremer Theater sind die Gagen extrem niedrig und die Anforderungen extrem hoch

Dem Schauspielensemble am Bremer Theater steht ein regelrechter Aderlass bevor. Wie jetzt bekannt wurde, werden bis zu acht SchauspielerInnen Bremen zum Ende der Spielzeit im Sommer 2000 verlassen. Im Ensemble sind 22 SchauspielerInnen tätig. Mehr als ein Drittel der Stellen wird bis zum Saisonende neu zu besetzen sein. Beim Amtsantritt neuer IntendantInnen oder SchauspielleiterInnen sind sogar größere Wechsel üblich. Aber innerhalb solcher Amtsperioden gibt es so etwas sehr selten.

„Das ist alles nicht alarmierend“, kommentiert der Chefdramaturg Joachim Klement. „Da treffen viele Gründe zufällig aufeinander“, sagt auch Theatersprecherin Inge Schielein. Private Motive, bessere Angebote von anderen Häusern oder der so genannte Hauptstadtsog hätten eine Rolle gespielt. „Einige wollen nach fünf Jahren in Bremen auch noch etwas anderes sehen“, so Schielein. Unter den abwandernden SchauspielerInnen ist auch Anika Mauer, die in ihrem ersten Engagement gleich so etwas wie einen kometenhaften Aufstieg geschafft hat.

Doch trotz der Verkettung unterschiedlicher Einzelmotive hat das Bremer Theater immer mit einem Problem zu kämpfen: Die Gagen (für SolistInnen) sind extrem niedrig, und die Akteure müssen extrem viel spielen. Ein Rationalisierungsgutachten empfahl 1981 eine Ensemble-Stärke von 35 SchauspielerInnen im Sprechtheater. Das Bremer Schauspiel muss mit 22 AkteurInnen auskommen. Wer als junges Talent nach Bremen kommt, hat deshalb zwar schnell Chancen auf eine Hauptrolle. Durch die geringe Ensemblegröße werden aber auch schnell zwei daraus. Da steht Anika Mauer zum Beispiel abends in „Kabale und Liebe“ auf der Bühne. Und am nächsten Morgen probt sie schon die „Hexenjagd“. Wer etwa wie Gabriela Maria Schmeide in der „Dreigroschenoper“ mitspielt, sitzt nicht selten schon um 17 Uhr in der Maske und verlässt das Theater nicht vor 23 Uhr. Die Probenzeiten für das nächste Stück von 10 bis 14 Uhr kommen natürlich hinzu.

„Zum ersten Mal in meinen fünf Jahren in Bremen habe ich jetzt eine probenfreie Phase“, berichtete die Schauspielerin Gabriele Möller-Lukasz am Mittwoch bei einem SPD-Forum namens „Menschen im Theater“. Nicht nur deshalb werden Leute wie Möller-Lukasz oder der Sänger Karsten Küsters ziemlich sauer, wenn PolitkerInnen mit neuen Kürzungsvorschlägen kommen oder unterstellen, am Theater werde nur Geld verprasst. „Der Mindesttarif für Solisten liegt bei 2.400 Mark brutto“, betont Küsters. Wer mal ein freies Wochenende hat, müsse jederzeit damit rechnen, dass das Theater einen zurückholt. Küsters Fazit: Intendant Klaus „Pierwoß muss den Spardruck weitergeben. Das spüren wir täglich.“ Für das von CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff angezettelte Theater ums Theater hat auch der Technische Direktor Karl-Heinz Krämer nur Kopfschütteln übrig: „Ich war jetzt an fünf Theatern. Doch was in dieser Stadt im Theater geleistet wird, ist phänomenal“, sagt Krämer. Und er findet ein scheinbar nebensächliches Beispiel für die Veränderungen in der Ära Pierwoß: „Als ich 1996 hierherkam, fand ich ein dunkles Loch namens Foyer. Jetzt gibt es da das Bistro Theatro, wo das Leben tobt.“

Zumindest die Bremer SPD hat sich jetzt fast vollständig hinter das Theater und die übrige Kulturszene gestellt. Jetzt, wo sie für das Kulturressort nicht mehr verantwortlich ist, macht sie koalitionsinternen Wahlkampf damit. „Wir Sozialdemokraten setzen uns für Planungssicherheit für die Kultur ein“, sagte die stellvertretende Frak-tionsvorsitzende Evi Lemke-Schulte den Leuten vom Theater. „Deshalb fordern wir vom Kultursenator einen Kulturentwicklungsplan.“

So fordern Worte immer neue Worte. Sicherheit gibt es dafür mit Sicherheit noch nicht.

Christoph Köster

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