Gretchen vor der Hinrichtung

■ Missverständnisse des Vorsprechens: Kai-Uwe Holsten inszeniert Theresia Walsers „Das Restpaar“ im Atrium

Theatermenschen haben Profilneurosen. Bisweilen macht sie das blind für ihre Umgebung. Da zieht an einem Intendanten glatt vorüber, dass sich für seine geplante Produktion höchstens noch ein Toter interessiert.

Zwei Schauspielabsolventinnen auf der desperaten Suche nach einem Engagement kennen nur noch ihre Vorsprechrollen, beide die Peinlichkeit schrammend. In die verführerischen Fänge des Theaters lässt sich aber selbst noch einer verstricken, der gar nicht vom Fach ist: Ein arbeitsloser Chemiker mutiert zum Bühnenmaler und hält seinen dräuenden Himmel, „in dem das Stückl schon enthalten ist“, für die tragende Rolle. Frustrierend, dass über allem bereits eine schlechte Nachricht schwebt: Das Theater muss geschlossen werden.

So die Verhältnisse in Theresia Walsers Stück Das Restpaar. Kai-Uwe Holsten konzentriert sich bei seiner Inszenierung im Atrium auf die Missverständnisse, die unweigerlich entstehen, wenn alle nur mit sich selbst befasst sind. Verenas (Frauke Angel) Zwangsvorstellung besteht darin, einmal so richtig mit ihrer Klampfe zum Zuge zu kommen. Maria (Alexandra Assai), die andere Hälfte des Verliererpaares, kann nur noch das Gretchen kurz vor der Hinrichtung – eher schlecht als recht.

Was bei Walser zwischen den Zeilen steht, wird bei Holsten zu teils gnadenloser Eindeutigkeit verholfen. Von unnatürlichen Weinkrämpfen geschüttelt, wälzt sich Assai als Gretchen auf der Bühne. Auch Angels Gesangskostprobe ist in ihrer Überzogenheit zwar erheiternd, doch der bittere Galgenhumor bleibt dahinter leider etwas zurück. Bei der Hamburger Tempelbühne des Intendanten Kaputte (Joachim Konrad) kommen die Schauspielerinnen endlich zu ihrem ersehnten Engagement – paradoxerweise mit Hilfe des Kulturreferenten Dieter Abreiter (Christian Dieterle). Dessen schlechte Nachricht wird nämlich ebenfalls als Vorsprechen interpretiert. Für Holsten Gelegenheit, aktuelle Kritik an der kürzlichen Schließung des Theaters im Zimmer zu üben. Dieterle gibt mit kabarretistischem Einsatz einen klischeehaft verklemmten Aktentaschler. Es hätte gereicht, das Humorige ganz auf seinen Schultern abzuladen.

Das Wechselspiel Theater-im-Theater kommt in den Räumlichkeiten des Atrium allerdings voll zum Tragen. Ohne viele Requisiten bespielen die Schauspieler noch jede Ecke und machen Das Restpaar zu einer schwungvollen, sehensweren Aufführung.

Liv Heidbüchel

noch am 21.-23. und 28.-30. Nov., 12. und 14. Dez., jeweils 20.30, Atrium, Bernstorffstr. 93