piwik no script img

Kirche wandelt sich zum Seelenhelfer

■ Die evangelische Friedenskirche im Viertel öffnet jetzt jeden Donnerstag zwei Stunden lang die Türen für persönliche Gespräche mit therapeutischen und seelsorgerischen Fachkräften

Die evangelische Friedenskirche im Viertel hält nicht mehr viel allein von „abstrakten Normen und Werten“: Pastor Bernd Klingbeil-Jahr macht jetzt Ernst mit der „Schlüsselaufgabe“ der Kirche, „Helfer zu sein, für die Alltagssorgen und Nöte der Menschen“. Jeden Donnerstag sitzen nun fünf extra engagierte Psychotherapeuten, Seelsorger und Sozialpädagogen in der geöffneten Kirche – und stehen zum Gespräch bereit für Menschen in Krisen oder mit Alltagssorgen und -nöten. „Damit wir das, was wir am Sonntag sagen und für wahr erachten, auch in die Tat umzusetzen.“

Anstoß für die neuartige Initiative gab Karl-Heinz Vormbrock, Gemeindemitglied und zugleich Psychotherapeut in der Familien- und Lebensberatungsstelle der evangelischen Kirche. „Wir brauchen eine solche Beratung auch vor Ort und gemeindenah“, befand der – und warb bei Pastor Klingbeil-Jahr für sein neues Kirchenkonzept: Wenige Wochen später waren die ersten ehrenamtlichen HelferInnen gefunden sowie rund 4.000 bunte Flugblätter gedruckt, die derzeit im Viertel in die Briefkästen flattern: „Neu!“ steht darauf mit Ausrufungszeichen: „Beratung und Gespräche in der Friedenskirche. Ab November werden die Türen donnerstags von 17 bis 19 Uhr offen stehen für alle, die ohne komplizierte Anmeldung einfach einen Rat oder ein offenes Ohr suchen.“

Wie der junge 18-jährige Mann, der gleich am ersten Donnerstag durch die Flügeltüren in die hellerleuchtete Kirche trat – und dort auf den fünfköpfigen Beraterstab namens Pastor Klingbeil-Jahr, Psychotherapeut Vormbrock, Hospizhelferin Monika Sain und Sozialpädagogin Kerstin Wührmann traf. „Wir empfangen die Leute und schauen dann, wer von uns für ein Einzelgespräch passt“. „Therapie“ sei das Ganze aber nicht, sondern „mehr eine Art nachbarschaftliche Hilfe.“

Die Alte Sakristei der Friedenskirche hat Pastor Klingbeil-Jahr deshalb als neues „Beratungszimmer“ hergerichtet – um dann seinem ersten Gast zwischen bunten Sesseln und Bildern sowie Tee und Keksen zuzuhören: „Der 18-Jährige war ganz neu in der Stadt, hatte wohl unser Flugblatt im Briefkasten und kam zu mir, um sich Orientierung im neuen Umfeld zu verschaffen.“ Aber nicht nur an Tipps bei Bafög-Sorgen oder für den Kneipenbummel ist gedacht – sondern auch an spontane Hilfe für Kranke und deren Angehörige, die vom nahen Krankenhaus an der St. Jürgen Straße herüberkommen könnten. Ebenso aber auch für die Prostituierten aus der Humboldstraße. Oder Jugendliche und Erwachsene, die einfach mal Reden wollen.

„Missionserschleichung oder gar Mitgliederfang“ sei das aber nicht, wehrt der Beraterstab ab – sondern der Versuch, die „Menschen so anzusprechen, wie sie es wünschen und sie dort abzuholen, wo sie sind – im Alltag.“ Und da gebe es Fragen genug: „Viele sind mit den Anforderungenund Möglichkeiten in unserer Gesellschaft einfach überfordert – und wissen nicht: Was ist gut für mich? Was ist das Richtige für mich?“, weiß Klingbeil-Jahr aus seiner seelsorgerischen Tätigkeit. Bei dieser Frage könnten natürlich auch „Glaubensfragen mit angesprochen werden – aber genausogut Hoffnungen, Träume oder Visionen.“

Um „Lebensperspektiven“ also soll es gehen in der neuen „Beratungsstelle in der Nähe“, die wahlweise Seelsorge oder psychotherapeutisch-beratende Hilfe bietet. Und auch sonst noch so einiges um- krempeln will – zum Beispiel das wenig zeitgemäße Kirchenoutfit: helle Stühle will die Kirche anschaffen und die harten Holzbänke entrümpeln. Auch mit dem „Licht“ im Kircheninnenraum müsse man sich etwas „ausdenken“, sagt Krankenschwester Monika Hain. „Das ist nicht so anheimelnd“.

Aber auch „große Kerzenflächen für alle, die zum Besinnen in die Kirche kommen und eine Kerze anzünden wollen. Das wär doch was“, träumt der Friedenskirchen-Pastor Klingbeil-Jahr. Da gebe es zwar noch einige Probleme mit dem „Feuerschutz. Da existieren ganz viele Auflagen.“ Und das Ganze sei auch „ganz und gar nicht evangelisch. Aber was soll's: Wenn die Leute das eben so wollen.“

Katja Ubben

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen