Berlin brennt auf RU 486

■  Experten glauben, dass künftig die Hälfte aller Abtreibungen medikamentös erfolgen wird. Kostenübernahme ungeklärt

Der Raum im Familienplanungszentrum Balance im Plattenbaubezirk Lichtenberg strahlt die Freundlichkeit und Wärme eines Wellness-Centers aus: Der bläuliche Teppich ist kuschelig, die Vorhänge sonnengelb, zahlreiche dunkelrot bezogene Liegen sind durch Paravents abgetrennt. Eine kleine Terrasse lädt zum Verweilen ein. An einer Bar gibt es Fruchtsäfte und Kekse. Es handelt sich nicht um einen Schönheitssalon, sondern um einen Ort, wo Frauen zukünftig mit Hilfe einer Pille abtreiben können.

Eigentlich sollte es heute soweit sein. Das Präparat RU 486 kommt unter dem Namen Mifegyne in Deutschland auf den Markt und ermöglicht den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Jedenfalls für Frauen, die zahlen können. Jetzt dauert es wegen bürokratischer Probleme noch. Auch die Kostenübernahme für sozial schwache Frauen ist ungeklärt.

Die Frau muss drei Mifegyne-Pillen einnehmen, damit der Fötus abstirbt. Die kleinen Tabletten schluckt sie im Familienplanungszentrum und geht dann nach Hause. Nach zwei Tagen kommt sie wieder und nimmt ein Prostaglandin, ein wehenauslösendes Mittel. Zwei bis drei Stunden hält sie sich im Ruheraum auf, bis die fingerkuppengroße Frucht ausgestossen ist. Bei 98 Prozent der Frauen, haben Statistiken in Frankreich ergeben, wirken die Mittel erfolgreich. Bei den anderen muss herkömmlich abgesaugt werden. Die Methode kann bis zur siebten Woche angewendet werden.

Die Ärztinnen von Balance sind von RU 486 überzeugt. „Es handelt sich um eine nebenwirkungsarme, sichere, schonende und intime Methode“, schwärmt Gynäkologin Sabine Müller. Das Präparat sei jedoch nicht für Frauen geeignet, die nicht entschlossen sind, abzutreiben. Die Prozedur dauert drei Tage. Einmal RU 486 genommen, und es gibt kein Zurück mehr. Schon jetzt riefen in Berlin rund 20 schwangere Frauen wöchentlich an, um zu erfahren, wann sie endlich per Medikament abtreiben können.

Gabriele Halder, die Vorsitzende von Balance, geht davon aus, dass sich RU 486 in Deutschland ähnlich wie in Frankreich, Großbritannien, Schweden und Österreich durchsetzen wird. „Wie in Frankreich werden 40 bis 60 Prozent der Frauen mit Hilfe von RU 486 abtreiben.“ Im ersten Quartal 1999 gab es in Deutschland fast 35.000 Abtreibungen.

Als großes Problem sieht Halder die Finanzierung der Abtreibungspille an. Für einen herkömmlichen Abbruch sind 500 bis 700 Mark fällig. In 80 bis 85 Prozent der Fälle kommen die Landesregierungen aus sozialen Gründen für die Kosten auf.

RU 486 kostet 154 Mark. Dazu kommen Kosten für Vor-und Nachuntersuchungen sowie die dreistündige medizinische Betreuung. Dem Münchner Gynäkologen Friedrich Stapf zu Folge wäre der medikamentöse Abbruch ähnlich teuer wie ein herkömmlicher – nur dass die Patientinnen selbst dafür aufkommen müssen.

Bisher gibt es aber noch keine Einigkeit, wieviel ein Arzt für den Abbruch bekommen soll. „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Kostenerstattung“, sagt Reinhard Naumann, Jurist in der Berliner Gesundheitsverwaltung. Er kritisiert: „Die verantwortliche Bundesebene hat die Länder jedoch bislang hängen lassen“. Erst am 30. November wollen sich die 16 Bundesländer, das Frauenministerium und die Kassenärztliche Bundesvereinigung über die Vergütung einigen. Ausgang ungewiss.

Gynäkologin Gabriele Halder befürchtet eine „Zwei-Klassen-Medizin“. Julia Naumann