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Vaters Gurken, 1:1

Paradies mit Fehlern: Jason Rhoades erbastelt sich in den Hamburger Deichtorhallen eine eigene „Perfect World“  ■   Von Hajo Schiff

Das Paradies, der Sündenfall oder der Wiederaufbau einer vollkommenen Welt – es muss an Hollywood liegen, dass man sich in Los Angeles für die großen Geschichten interessiert. Das gilt offenbar auch in Übersee: Für die Ausstellung von Jason Rhoades in den Hamburger Deichtorhallen hat Direktor Zdenik Felix die gesamten 1.800 Quadratmeter der Südhalle zur Verfügung gestellt. Der international hoch geschätzte 34-jährige Kalifornier hat die Hallenarchitektur gänzlich verwandelt und für fünf Monate zu einer Weltmodellwerkstatt gemacht.

Für diese „Perfect World“ betitelte Installation wurde der größte Materialaufwand seit Bestehen der Deichtorhallen betrieben. Tausende extra auf Hochglanz polierte Aluminumrohre tragen ein in die Halle eingezogenes zweites Stockwerk aus dreieckigen Bauplatten. Diese nach dem goldenen Schnitt bemessenen Module sind allerdings keineswegs lückenlos aneinander gefügt: Zwei Selbstfahrerlifte gewähren maximal je zwei Besuchern Einblick in die oberen Gefilde.

„Ich glaube nicht unbedingt an Kunst für die Masse“, sagt der Künstler ein wenig ironisch, sind seine Installationen doch an Orten mit reichlich Öffentlichkeit zu sehen – gleich zwei waren es zuletzt allein auf der diesjährigen Venedig-Biennale. Wie immer wimmelt auch die Hamburger Installation von Alltagsdingen und Abfall, von Maschinen und Material, von Zumutungen und Zeichnungen. Spätestens diese 500 Blätter, auf farbigem Plexiglas minimalistisch gerahmt und auf den verbliebenen Wänden wie ein umlaufender Fries gehängt, zeigen, dass das ganze vertrackte Durcheinander mehr ist als eine – mitunter drastisch sexualisierte – Heimwerkerfantasie.

Die bisher größte Skulptur von Jason Rhoades ist trotz ihrer Fülle an Material und an Anspielungen für seine Art des Umgangs mit den Dingen relativ klar gegliedert: Obwohl auf beiden Ebenen das Prozesshafte dominiert, sind doch profanes Unten und paradiesisches Oben klar geteilt. Drei separate Arbeitsstätten befinden sich zudem in den vorgefundenen Nebenräumen: Südlich die schwere Poliermaschine für die Alurohre und eine Abrichterei, von der die Rohre durch ein gepolstertes Loch in der Wand zum Lager im Hauptsaal gelangen. Westlich gibt es noch einen Raum für strukturalistische 16-Millimeter-Filme nach Art der Siebzigerjahre und östlich eine computerisierte Druckerei. So hat Jason Rhoades, der sich einer durchaus liebevollen Beziehung zu Maschinen rühmt, auch noch eine Geschichte der Arbeitsgeräte in diesem Jahrhundert mit inszeniert: Vom mechanischen Handwerk zum Chip, von gusseisernen Motoren über die Feinmechanik des Filmprojektors zur Digitalkamera und dem Computerdrucker. Und weil die historische Poliermaschine den hinreißenden Namen „Hammond of Kalamanzoo (Michigan)“ hat, wurde ihr in surrealistischer Wortspielmanier eine Hammondorgel zugesellt, deren vom Polierrauschen unterlegte technisch-sakralen Töne ständig durch die ganze Installation dröhnen.

In formaler Hinsicht ist der vorgebliche Zweck der ganzen Installation eine 1:1-Reproduktion des Gemüsegartens seines Vaters in Kalifornien, der zufällig nahezu die Größenausdehnung der Deichtorhalle hat. Jason Rhoades hat das spätsommerlich verwilderte Gelände Schritt für Schritt in dreitausend Kleinbildfotos aus Augenhöhe abgelichtet und zusätzlich mit einer Digitalkamera erfasst. Bohnen und Mais, Kräuter und Tomaten, mit Stangen, Drähten und Fäden in eine Ordnung gebracht, sind für den Künstler nicht nur ein Modell von Nachbarschaften und Familienbeziehungen, sie sind auch der Versuch, ein kleines Stück des Paradieses wiederzugewinnen. Für die Kunst arbeiten nun große Tintenstrahldrucker wochenlang an den breiten Papierbahnen, die den Garten in realer Größe abbilden und die nach und nach auf die obere Ebene geklebt werden.

Doch auch diese abgehobenen Gefilde sind ein unvollkommenes Reich. Auch hier gibt es triviale Teppiche mit Blumenmuster und die allgegenwärtigen Mülleimer, allerdings ohne Boden: Wer Paradiese baut, der will sich um den Abfall nicht sorgen. Kurzkommentar von Jason Rhoades dazu: „Wo man nicht weiß, wohin die Dinge wirklich gehen: Abfalleimer, Klo, Briefkasten, Computer.“

Die Menschheit ist nicht nur seit langem aus dem himmlischen Paradies vertrieben, wir haben seit geraumer Zeit auch alle Eindeutigkeit der Paradigmen verloren. Jason Rhoades lässt in seiner Verschachtelung der Modellebenen ausdrücklich eine in jede Richtung unendliche Argumentation zu. Schon die Installation enthält mehrfach Modelle ihrer selbst: Neben den Planungsskizzen und dem Film vom Aufbau ein hübsch handliches Architekturmodell und eine mannsgroße Probeausführung der zweiten Ebene im Maßstab eins zu vier. Es ist ein komplexes Bezugssystem, das nicht der überschäumenden Fantasie einzelner Interpreten entspringt, sondern systematisch im Werk angelegt ist und sich auf eine illustre Reihe von Referenzen beruft: Duchamp, Brancusi, Manzoni, Pollock und Flavin.

Sosehr die polierten Rohrsysteme auch männliche Obsessionen assoziieren (putzen, penetrieren, positionieren, perpetuieren), indem sie ständig den Weg versperren, sind sie doch auf Marcel Duchamps Verspannungen im Raum der Surrealistenausstellung von 1942 bezogen. Aber sie können auch ein Bild sein für die elektronischen Bahnen, die das Hyperreferenzsystem Internet verbinden. Schon 1998 hat die Kunsthalle Nürnberg den Katalog ihrer Rhoades-Ausstellung deshalb gleich als Lexikon angelegt. Solche Vielfalt macht jeden Zugang allerdings zu einer vorrangig subjektiven Auswahl von Gesichtspunkten. Perfekt ist diese Welt so wenig wie irgendeine andere, aber in ihrer so deutlichen Unvollkommenheit bietet sie mehr als andere Bausteine für Erinnerungen und Utopien.

Das dürfte auch der Grund sein, warum Zdenik Felix bewusst Jason Rhoades' Erweiterung des Skulpturalen in den resümierenden Ausblick der Deichtorhallen zum Ende des Jahres 1999 gewählt hat: Ein künstlerisch avanciertes Weltsystem in der kleinen Halle, dazu gegenüber die privaten Überlebenseinheiten der Andrea Zittel und Inez von Lamsweerdes Körpermutationen in der großen Deichtorhalle. Das alles ergänzt durch eine intellektuelle Erfassung des Vergangenen in den Schreibarbeiten von Hanne Darboven mit der Hommage an den Jahrhundertkünstler Picasso: Kein schlechtes Angebot für ein mehrheitlich zur Zeitenwende erklärtes Jahresende.

„Jason Rhoades – Perfect World“. Bis 5. 3. 2000, Deichtorhallen, Hamburg. Das Kopienkonvolut der Zeichnungen kostet 120 Mark. Ein Katalog erscheint im Februar.

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