: Jürgen Röber forever
Vor dem heutigen Spiel gegen den FC Barcelona ist auch die Diskussion um den Hertha-Trainer entbrannt ■ Von Markus Völker
Ist es wahr, dass Jürgen Röber vor der Entlassung steht, Herr Schwan? „Aber selbstverständlich, und zwar sofort und achtkantig. Der muss weg. Ob der Dieter Hoeneß oder sonswer was dazu zu sagen hat, ist mir scheißegal.“
Im April des vergangenen Jahres hielt die Berliner Zeitung diesen Dialog zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden Robert Schwan und dem Trainer von Hertha BSC Berlin fest. Damals kriselte es beim Hauptstadtklub. Nur knapp konnte der Abstieg abgewendet werden. Saison 1999/2000. Hertha ist einen Punkt vom Abstieg entfernt, liegt auf Rang 13 in der Bundesliga. Herr Schwan, wie steht es nun um die Halbwertszeit des Coachs? Nicht „in 100 Jahren“ werde er eine Diskussion um Röber führen, ließ der 77-Jährige jüngst wissen. „Ruhe bewahren“ sei das Gebot der Stunde. Die Strategie der Deeskalation in Krisenzeiten ist neu bei Schwan, der aus dem schönen Kitzbühel meist Gift und Galle nach Berlin schickt, so es nicht nach seinen Vorstellungen läuft. Vielleicht hat der alte Herr doch den Worten von Hoeneß gelauscht, der dazu neigt, Herthas Fall in den Tabellenkeller verbal eher zu dämpfen, als Nagelbretter auszulegen, wie es Schwan Spaß bereitet. Hoeneß empfahl der Hertha nach den Schwanschen Attacken vor 19 Monaten: „Wir müssen lernen, mit Krisen cleverer und smarter umzugehen.“ Man dürfe nicht immer „Erdbeben“ auslösen. Man hat ohne Zweifel dazugelernt bei Hertha. Es wird nicht mehr gepoltert, sondern gepolstert. Man ist also vorbereitet, wenn der Berliner Boulevard hintergründig die Trainerfrage stellt. Noch wird sie hinter vorgehaltener Hand gewispert, etwa bei der BZ. Doch sollte das heutige Champions-League-Spiel gegen den FC Barcelona verloren gehen, werden die Stimmen lauter, die Röbers Wirken bekritteln, ihn aus dem Amt schreiben wollen. Die Einwände Schwans damals waren nichtig. Der Mannschaft unterstellte er mangelnde Fitness. Röber warf er vor, dass er mehr auf die eigenen Laktatwerte achte als auf die der Kicker. Süffisant kolpotierte er Geschichten über Röbers Laufverrücktheit und Konditionsbimserei. Und er sagte: „In Berlin bin ich umzingelt von schwachen Leuten, mit Großen und Starken muss man sich umgeben, nur dann wird man ein Großer.“
Ist Röber gewachsen, stärker geworden, dass er sich der Gesellschaft Schwans als würdig erweist? Schicker ist er geworden, das zunächst. Die Fitnesskluft trägt Röber nur noch zu Bundesligaspielen, in der Champions League zwängt er sich in einen Anzug. Pressetermine absolviert Röber relaxter. Kein zum Bersten dicker Hals mehr, sondern Lässigkeit im Rahmen der Möglichkeiten. In den Antworten findet sich nicht mehr nur Röbers penible Ernsthaftigkeit, sondern auch mal ein Scherz. An der Wirkung nach außen hat er gewerkelt. Er versucht jenes Verdikt umzusetzen, wonach der Trainer Soufleur der Medien ist. Der im Trainingsanzug mitrackernde Zuchtmeister leitender Angestellter ist passé, gefragt sind Psychotrickser und Motivationsgurus. In dem Punkt scheint sich Röbers Talent zu erschöpfen. Schwan schätzt Übungsleiter, die ihre Schützlinge unter Druck setzen. Das gelingt auf internationalem Terrain, weil allein die Prämiensummen und die Erhöhung des Marktwerts schnelle Beine machen. In der Bundesliga aber steht Röber, der seit drei Jahren Hertha coacht, machtlos vor der Tristess des Normalen. Die Hertha, auf der das Etikett „Hauptstadtklub“ prangt, versucht den Weg der Stadt hin zur Regierungs- und Kulturmetropole mitzugehen. Ob Röber in die Rolle des Staatsmannes, des professionellen Fußballverkäufers, schlüpfen kann, ist fraglich. Schwan hat ihm hundert Jahre Zeit gegeben. Dann wollen sich der mittlerweile 177-jährige Schwan und der 145-jährige Röber an einen Tisch setzen, um über die Nachfolge zu beraten – wenn Schwan nicht auf das Zwiegespräch verzichtet und Röber noch im 20. Jahrhundert entlässt.
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